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418 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 8. Heft (August 1920.)
die Möglichkeit telepathisch er Einflüsse. Durch
deren nicht abzuleugnendes Vorkommen im Traum und bei einwandfreien
Versuchen mit sog. „Medien" ist die Tatsächlichkeit
der Telepathie erwiesen, d. h. der Fähigkeit, die im tiefen Gedächtnis
eines andern Menschen schlummernden (latenten) Erinnerungen
unbewußt zu erfühlen und zu äußern.
Nach allgemeinen Beobachtungen geschehen die Äußerungen
„spiritistischer Medien" in einem mehr oder weniger starken
traumartigen Zustand. Neben der individuell verschieden schöpferischen
Tätigkeit des Unbewußten bildet hier unmittelbare oder
mittelbare Telepathie die Unterlage für die Mannigfaltigkeit der
„Offenbarungen". Hierzu verweise ich auf die ausgezeichnete
Abhandlung von dem korresp. Mitglied der GWO, Dr. med. W.
S t e k e 1 „Der Psychographismus und seine Folgen" in Nr. 47
der „Wiener Medizinischen Klinik", Jahrgang 1919.
Ich glaube persönlich an eine Fortexistenz der Seele nach
dem Tode, aber bestreite ganz entschieden die Möglichkeit
des Nachweises durch mediumistische Erscheinungen
! Somnambule neigen zeitweise stark zu solchem Erfühlen
, und zwar gehen besonders Vorstellungen über., die mit
Angst oder Befürchtungen verbunden sind. Dies zu wissen ist
vor allem für die Angehörigen, den Arzt und die mit der Pflege
des Kranken Betrauten notwendig.
Der Schweizer Arzt Dr. Alphons Maeder schreibt in seiner
beachtenswerten Schrift „Entwicklung und Heilung im Seelen-
leben<; (Rascher Verlag, Zürich 1918) u. a.: „Die Anwendung der
psychanalytischen Methode auf gewisse Psychosen (Dementia
praecox, Paranoia, Melancholie) läßt den Arzt in die Geheimnisse
der kranken Psyche eindringen, die Halluzinationen verstehen
und erlaubt den scheinbar sinnlosen Wortsalat und die
Wahnsysteme in eine verständliche Sprache zu übersetzen. Ein
neues Erwachen der Psychiatrie erfolgte, das im Begriff ist, die
Welt zu erobern. Der Anstaltskranke, früher ein Gegenstand des
Mitleids, der wissenschaftlichen Kuriosität, wird ein Mersch, den
man verstehen und sich nähern kann/4
Nach starken Gemütserregungen können im Halbschlaf in langer
Reihe die verschiedenartigsten Erinnerungen aufgewühlt werden
, aber nicht immer als optische Bilder, sondern auch in akustischer
Form auftreten, wobei sie nicht selten automatisch im
Flüsterton oder deutlich hörbar in wenigen Worten geäußert werden
. Es handelt sich hier um den gleichen Vorgang, wie bei der
künstlich herbeigeführten Psychanalyse. Die Natur versucht
durch Selbsthilfe das ins Unbewußte Verdrängte „abzureagieren".
Wenn ein solcher Zustand nachwirkend auch im Wachen auftritt
, wird bald das „bewußte Tch" sich einmischen und durch
lautes Zwischen sprechen sich beteiligen; es macht dann den Ein-
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