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422 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 8. Heft (August 1920.)
Der Professor für Psychiatrie Dr. August Forel sagt in
seinem Lehrbuch „Der Hypnotismus oder die Suggestion und die
Psychotherapie" im Jahre 1918: „Das Studium der modernen
Psychologie, der Psyehophysiologie, der Suggestionslehre und der
Psychanalyse, die beiden letzteren mit einer kleinen Klinik oder
Poliklinik verbunden, sollten in jeder medizinischen Fakultät ermöglicht
werden. Erst dann wird eine erfolgreiche Bekämpfung
des Aberglaubens und der Kurpfuscherei möglich sein und werden
die Ärzte vielen für ihren Stand unangenehmen Blamagen
entgehen, die ihnen heute von Laien bereitet werden. Diese
Blamagen wirken wie Nadelstiche, die der Wissenschaft, ihrem
Ernste und ihrer Würde versetzt werden." „Es war von jeher
ein hohes ethisches und kulturelles Vorrecht der Bildungszentren
und der Wissenschaft, mit der Fackel der Erkenntnis dn die Finsternis
des Aberglaubens und der Unwissenheit hineinzuleuchten.
Es ist daher betrübend, zu sehen, wie gerade jene Zentren sich
immer zögernd, zaghaft, ja sogar vielfach ablehnend der Suggestionslehre
und der neuen pschologischen Forschung gegenüber
verhalten." „Aus diesen Gründen hat sich der internationale Verein
für medizinische Psychologie und Psychotherapie gebildet,
dessen Zweck ist, jene Disziplinen wissenschaftlich zu pflegen
und ihre Einführung in die Hochschule anzustreben." (Sind
deutsche Psychologen nicht Mitglieder dieses Vereins?!)
Zusammenfassend ergeben sich hauptsächlich folgende Leitsätze
: Alle mit oder ohne Aufmerksamkeit (bewußt oder unbewußt
) gemachten Sinneswahrnehmungen, sowie alle Erlebnisse
(Vorstellungen und Gemütserreguugen) bleiben mehr oder minder
deutlich als im tiefen Gedächtnis schlummernde Eindrücke
(latente Erinnerungen) erhalten."
Diese können durch körperliche oder seelische Reize im nicht
allzutiefen Schlafe, wenn das Bewußtsein abgeschwächt ist, wieder
ausgelöst und nach bestimmten Gesetzen zu inneren Traumerlebnissen
gereiht werden. Nach dem Aufwachen erinnern wir
uns ihrer manchmal noch ganz deutlich und vermögen das vom
Unbewußten Geschaffene als ..Traum" zu erzählen.
Auch außerhalb des Schlafes findet eine unbewußte Geistesarbeit
statt, z. B. wird uns plötzlich die Lösung einer schwierigen
beim ersten Versuche nicht sogleich bewältigten Aufgabe im
Laufe eines folgenden Tages ohne weiteres absichtliches Nachdenken
klar, zuweilen in Bruchstücken, welche zunächst nicht
miteinander verknüpft und auch sprachlich nicht ganz zutreffend
ausgedrückt werden. Solche Erscheinungen, welche beim genialen
Schaffen die Regel bilden, zeigen unbewußte Vorgänge an;
sie haben auch die Eigenart der meisten Träume, daß sie rasch
wieder in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht gleich mit Aufmerksamkeit
erfaßt werden.
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