Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
47. Jahrgang.1920
Seite: 507
(PDF, 183 MB)
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Günther: Dem Gedächtnis Wundt's.

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Wundt noch in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens bis
zur Vollendung brachte.

Hier hat sich der große Geist in einer bewundernswerten Erfassung
des Wesentlichen als der gewaltige Deuter und Erklärer
alles seelischen Geschehens gezeigt, aus dessen Arbeit noch viele
Geschlechter unermeßlichen Nutzen ziehen werden. Als Sohn
einer Zeit, die zunächst noch fast unbewußt von dem Gefühle für
den organischen Zusammenhang aller Einzelpersönlichkeiten er-
füllt war, die aber immer mehr zum klaren Bewußtsein dieser Tat-
sache sich durchzuringen im Begriffe ist, legte Wundt den größten
Nachdruck darauf, die Bänder dieses Organismus aller Welt verständlich
und begreiflich zu machen. Er erkannte, daß eine
menschliche Gemeinschaft erst möglich sei durch die Sprache, die
unerläßliche Form für alle geistigen Inhalte. Die der Gemeinschaft
eignen geistigen Vorgänge schied er weiter in zwei Klassen:
einmal in die gemeinsamen Vorstellungen, die sich vor allen
Dingen auf die übereinstimmenden Gefühle und Affekte der
Furcht und der Hoffnung stützen, also die mythologisch-religiösen
Vorstellungen, und weiter in die gemeinsamen Motive des Wollens,
die den gemeinsamen Vorstellungen entsprechen, die Normen der
Sitte. Die Gesetze des geistigen Zusammenlebens in Sprache,
Mythus und Sitte machen demnach den Inhalt der Völkerpsychologie
aus. Deren Aufgabe besteht in der „Untersuchung derjenigen
psychischen Vorgänge, die der allgemeinen Entwicklung
menschlicher Gemeinschaften und der Entstehung gemeinsamer
geistiger Erzeugnisse von allgemeingültigem Werte zugrunde
liegen".

Indem Wundt aber zugleich die Geschichte als ein Anwendungsgebiet
der Psychologie umschrieb, gelangte er dazu, die große
Streitfrage nach den entscheidenden Triebkräften in der Geschichte
zu lösen. Weder die einzelnen Männer, wie Treitschke
meinte, noch ausschließlcih die Massen, wie die materialistische
Anschauung lautet, machen die Geschichte. Der Verlauf alles
historischen Geschehens vollzieht sich vielmehr in einer beständigen
Wechselwirkung zwischen beiden, wobei allerdings die
Volksgesamtheit die Grundlage und den Ausgangspunkt bildet.
„Die Gemeinschaft ist es, die in dem Einzelnen die geistigen Kräfte
auslöst, durch die er wieder selbst auf jene zurückwirkt, und von
allem dem, was er zu dem gemeinsamen Besitzstande beizubringen
mag, bleibt nur das wirksam, was in der Gemeinschaft bereits vorgebildet
war/* So überwand Wundt in der höheren Synthese der
völkerpsychologischen Betrachtung die Einseitigkeiten einer lediglich
individualistischen und einer ausschließlich materialistischen
Auffassung und gab damit den Anstoß zu fruchtverheißender Vertiefung
aller geschichtlichen Erkenntnis. Aber damit ist seine
weitreichende Bedeutung noch nicht erschöpft.

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