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604 PsycMsetoe Studien. XLVII. Jahrg. 12. Helft (Dezember 1920.)
Anstoß erregt hatte, — daß der Vater Fabrikant war, hatte Aub
schon vorher in Erfahrung gebracht.
Als ich ihm einmal den Besuch eines Bekannten anmeldete,
ohne seinen Namen zu nennen, da sagte er: „Warten Sie, ich will
sehen, ob ich über den Herrn etwas sagen kann". Und nun beschrieb
er den Herrn, dabei übrigens Falsches mit Richtigem
mischend, aber immerhin das Richtige doch in ganz überraschend
hohem Hundertsatz. Besonders frappierte mich die Bemerkung,
er sei „ein Revolutionär des Herzens", was außerordentlich treffend
ist, und nicht aus meiner — des Freundes — politischen
Stellung erschlossen werden konnte. Für den Herrn, einen reinen
Idealisten, war, wie er mir kurz vorher gesagt hatte, die Ausrufung
der Räterepublik „ein religiöses Erlebnis". In der Folge
hat er sich von politischen Gedankengängen und Bestrebungen
abgewendet und lebt extrem reformerischen, sozialen und religiösen
Ideen — ein Revolutionär des Herzens!
Erwähnen möchte ich dann noch folgende Leistung: Ich ließ
dre Dame irs Zimmer komiren; «ofort räch der Vorstellung,
wobei sich beide die Hand gaben und nur ganz wenig Worte gesprochen
wurde, gab Aub die Charakteristik der Dame in gebundener
, gereimter Rede in ausgezeichneter Weise, dabei handelte
es sich um einen sehr herben, sich schwer erschließenden
Charakter, ohne daß irgendeine Frage gestellt, die Physiognomie
studiert wurde oder dergleichen. Aub saß vielmehr mit geschlossenen
Augen in seinem Sessel. 1% Meter von ihm entfernt
die Dame, bei seiner Schwachsichtigkeit hätte auch gar nicht die
Möglichkeit bestanden, die Feinheiten des Gesichts zu studieren.
Sollten die 10 Worte, die die Dame höchstens zu ihm gesprochen
hatte und das Handgeben ihm den Charakter bis aufs Mark enthüllt
haben? Immerhin eine bewundernswerte Leistung! Besonders
auffallende, objektiv nachweisbare Tatsachen kamen dabei
nicht zutage, und so will ich nicht ins einzelne gehen.
Bemerkt sei noch, daß er mir persönlich weder über meine
Aszendenz noch über mein Leben Dinge gesagt hat, die man
übernormal erklären müßte, ohne damit diese Quelle ausschließen
zu wollen, denn es waren recht treffende Aussagen dabei, aber
mir schien das alles die Fähigkeiten eines feinsinnigen Charak-
terologen nicht unbedingt zu überschreiten.
Bei Menschen, die vorwiegend intellektualistisch eingestellt
sind, gewinnt er nicht so leicht Fühlung wie bei Menschen mit
starkem Gefühlseinschlag, und bei manchem Menschen versagt
er ganz; das gilt besonders von stark skeptisch veranlagten Menschen
und bei schnoddrigen Naturen, die gleich mit der Bemerkung
eintreten, daß sie mal sehen wollen, was Aub leisten kann»
Solchen Naturen gegenüber zieht Aub seine Fühlfäden ein wie *
ein Infusorium, wenn es unsanft berührt wird, und leistet ihnen
gegenüber höchstens das, was ein leidlicher Psychologe auch
stanzt leisten würde. Es versteht sich von selbst und spricht nur
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