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18 Psychische Studien. XLYI1L Jahrg. 1. Heft. (Januar 1921.)
Brücke zur akademischen Psychologie geschlagen", wie sich Fritz
Giese in seiner „Deutschen Psychologie" 1918, S. 347, ausdrückt.
Auch in die Theologie beginnt der wissenschaftliche Okkultismus
einzuziehen. Mit seinem Werk „Die religiöse Erfahrung in
ihrer Mannigfaltigkeit" 1902 (in deutscher Übersetzung von Georg
Wobbermin 1907) hat William James die Religionspsychologie
begründet, die in Deutschland in K. Österreich (Einführung in die
Religionspsychologie 1917) ihren Hauptvertieter besitzt.
Denken wir uns um 10 oder 20 Jahre methodischen Arbeitens
in dieser Richtung weiter, so können wir uns eine auf physiologischen
und psychologischen Tatsachen sicher begründete spiri-
tualistische Weltanschauung ausgebaut denken, die ebenso ihre
praktischen Konsequenzen, ihre Ethik und Politik, ihre Kunst und
Dichtung haben wird, wTie die materialistische des 19 Jahrhunderts.
Polilik ist ähnlich wie Pädagogik angewandte Ethik. Wohl muß
sich der Politiker, wie auch der Pädagoge, in seinen ethischen
Forderungen der Wirklichkeit anzupassen suchen. Aber es ist
doch immerhin eine Ethik, die auf einer Religion, einer Welt*
anscbauung ruht. So wird auch der Spiritualismus, wie ich die kommende
Weltanschauung der Kürze halber dem Materialismus
gegenüber bezeichnen möchte, seine Ethik und seine Politik hervorbringen
. Jenseitsgedanken werden lebendig wrerden, wo bisher
nur Diesseitsstimmung herrschte, Willensvemeinung, um mit
Schopenhauer zu reden, wo bisher nur Lebensbejahung galt. Ich
denke mir eine harmonische Verschmelzung der beiden Elemente,
wie wir sie im 2. Teil von Goethes Faust oder in den Wanderjahren
finden, als Ziel, etwa so, wie Makarie in den; Wanderjahren
Erkenntnisideal (ihre naturwissenschaftlichen Studien)
und Willensverneinung (Aufopferung für die Familie, deren
geistiger Mittelpunkt sie ist) verbindet, oder wTie Faust Schönheitsbegeisterung
, soziale Tätigkeit und mystische Versenkung,
Diesseits- und Jenseitswerte, in sich zu vereinigen weiß.
Wrenige Worte zum Schluß noch über die Religion, die sich aus
den neuen Tatsachen ergibt. Ich möchte sie kurz als eine Religion
des Selbst (genauer des höheren Selbst) bezeichnen. Unter
„Selbst" verstehe ich etwa dasselbe, was Kohnstamm das „tiefste
Unterbewußtsein", du Prel das „transzendentale Subjekt", Kant
das „intelligible Subjekt" nennt. Es ist das göttliche Prinzip der
menschlichen Seele, die Quelle des Gewissens und der höheren
Inspirationen, eine in jedem vorhandene höhere Persönlichkeit,
die in Zuständei der Hypnose oder des Somnambulismus zur Darstellung
, zum Reden kommt, vielleicht auch in Träumen, öfter
als wir es ahnen, sich lebendig erweist. Dies scheint mir der
Gott m uns selbst zu sein, der Seelengrund eines Meisters Eckhart,
wo sich Göttliches und Irdisches berührt und verschmilzt. Mclit
zur Weltseele, die uns stets nur Problem, nur Sonne über Wolken
bleiben wird, können wir beten. Schwerlich wird die Weltsecle
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