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Noris: Seele und Geist in Telepathie und Suggestion. 33
wissen das ebenso wenig, wie wir z. B. wissen, was Elektrizität,
was Magnetismus ist, und doch arbeiten und experimentieren wir
damit, wie mit bekannten Dingen. Machen wir es doch mit
unserer Seele ebenso und wir werden damit unendlich viel weiter
kommen, als mit geistreichen Begriffsdefinitionen, die, glaube ich,
dodh nie zu einem vollbefriedigenden Resultate führen können,
da unser endlicher Geist das Unendliche der Seele, unser materieller
Verstand das seelisch Immaterielle begrifflich wohl nie
zu erfassen vermag. Seit Menschengedenken müht man sich damit
resultatlos ab, wie uns die Geschichte des Seelenbegriffs
zeigt. Aber die Regungen der Seele können wir erfassen
und in das Reich unserer Forschung und Nutzbarmachung ziehen,
wenn wir den richtigen Weg dazu einschlagen. Das ist freilich
schwer für uns. Wir sind sogenannte Verstandesmenschen, seit
Generationen durch einseitige Schulung unserer Gehirntätigkeit
überbildet und durch einseitig materialistische Richtung
unserer Gedankenwege verbildet Unser Geist ist so zu einer
hohen Machtstellung in unserem Leben gelangt, er hat allmählich
die Überhand über die Seele gewonnen, die, ins Hintertreffen geraten
, von uns nicht mehr gewürdigt, beachtet und verstanden
wird. Um wieviel leichter würden wir durchs Leben kommen,
wenn dies anders wäre? Ein Beispiel möge das erläutern. Wir
kennen wohl alle diese Wunderkinder, die im jugendlichen Alter
ohne langes Besinnen die schwierigsten Rechenaufgaben lösen,
vierteilige Zahlen miteinander multiplizieren usw. Sie sagen
uns kurzweg die richtigen Resultate, ohne sich mit unseren
wissenschaftlichen Rechenmethoden zu befassen, d. h. sie arbeiten
nicht mit dem Verstände, sondern mit dem unermeßlichen Wissen
ihrer Seele. Lerneai sie dann schulmäßig rechnen, dann verschwindet
so nach und nach ihre erstaunliche Fähigkeit immer
mehr; sie mögen — und das, wie man hört, meist nicht — vielleicht
gute Rechner werden, aber was ihnen vordem mühelos und
glänzend gelungen, macht ilnien jetzt Arbeit und Kopfzerbrechen,
bringt Fehler und Unzufriedenheit. Nicht mehr die Seele
sagt ihnen das Resultat, sondern der Geist will es
seinen Anweisungen gemäß verrechnet wissen.
Man wende mir nicht ein, ersteres seien unsichere, mehr oder
minder Zufalls-Resultate. Solange wir uns nicht eingehender mit
den Leistungen unserer Seele beschäftigen und ihnen auf den
Grund zu kommen suchen, werden sie für uns imimer den Oha-
i akter des Unsicheren und Zufälligen an sich tragen, und nur der
Geist wird uns als die allein sichere Basis des Wissens gelten,
dieser vielgepriesene menschliche Geist — dieser unselig hochgeschraubte
Geist, möchte ich entgegnen, der sich vermißt, die
Leistungen der Seele zu schulmeistern, ohne sie zu verstehen, der
sich unterfängt, die Seele dem Verstand zu unterstellen und so
sich mit vermeintlicher Weltweisheit und großgezüchtetem Selbst-
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