http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0039
Noris: Seele und Geist in Telepathie und Suggestion. 35
Funktionen des Menschen und damit aueh auf dessen Gehira-
tätigkeit ausübt, und wenn sich auch der Geist gegen diesen Einfluß
sperrt, so kommen die telepathischen Seelenvorgänge und
-Übergänge doch zur Geltung, bleiben aber als solche für den
Geist unerkannt und unverstanden, d. h. sie kommen uns nicht
zum Bewußtsein. Sie äußern sich dann in Traumbildern, schreckhaftem
Erwachen, unerklärlicher Befangenheit, Stimmungen und
Stimmungswechseln aller Art, Sympathien, Antipathien usw. —
kurz: zahllos, um nicht zu sagen immenwährend,
finden telepathische Einwirkungen aoif uns
statt, und unaufhörlich vollzieht sich der
seelische Wechselverkehr im menschlichen
L eben.
Ich kann hier auf die Einzelheiten dieses hochinteressanten
Themas seelischer, unerkannt und unverstanden bleibender Vorgänge
telepathischer Art nicht näher eingehen, und auch ein Verbuch
würde schon viel zu wreit führen. Diese kurzen Andeutungen
mögen genügen, um die Frage zu veranlassen: Wie kommen telepathische
Vorgänge überhaupt zum Bewußtsein, trotz unserer
geistigen Sperrung dagegen? Daß seelische Übergänge unter
verwandten oder eng befreundeten Personen leichter zum Bewußtsein
gelangen als unter sich nicht nahestehenden Personen,
ist bei der Ähnlichkeit ihrer geistigen Beschaffenheit und bei den
gegenseitigen Sympathien meines Erachtens ohne weiteres klar.
Die Sperrung des Geistes gegen telepathische Einflüsse von
solcher Seite löst sich automatisch. x\ber auch wenn solche verwandten
Beziehungen nicht vorliegen, können telepathische Übergänge
zur geistigen Beachtung gelangen, und zwar insbesondere
durch Mitwirkung des Geistes der Ausgangsperson
(wir würden nach derzeitigem Wortbrauch sagen durch
Mitwirkung des Absenders oder Agenten).
Da, wie ich oben ausführte, die Seele die belebende und
Leben erhaltende Kraft des Menschen ist, so äußert sie auch ihre
telepathische Tätigkeit ganz besonders in lebenswichtigen Vorgängen
, wie z. B. bei Todesgefahr, schwerer Krankheit uswT. Da
wiid nun ganz selbstverständlich auch der Geist in Mitleidenschaft
gezogen, denn es geht für ihn ums Sein oder Nichtsein,
und er erinnert sich in solch kritischen Augenblicken seines
natürlich nahen Verhältnisses zur Seele. Die geistige Tätigkeit
schließt sich dann eng an die seelische an, und es entstehen so, inhaltlich
.gleich mit letzterer, Gedanken, Vorstellungen, Empfindungen
usw. in unserem Gehirn, die durch Übertragung von Gehirn
zu Gehirn bei der Empfangsperson die gleichen Gedanken,
Vorstellungen, Empfindungen usw. wachrufen und damit den inhaltlich
gleichen telepathischen Übergang von Seele zu Seele
unterstützen beziehungsweise verstärken. Wir sehen also da ein
Zusammenwirken von Seele und Geist, wie es
3*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0039