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38 Psychische Studien. XLVIIL Jahrg. 1. lieft. (Januar 192L)
Menschen, an den man denkt, gar nicht kennt, Sehermann schreibt
sie, wie spätere Vergleiche zeigen, treffend nach! Man hat ihm
auch ein. Plakat gezeigt, auf dem die Radierung eines Künstlers
abgebildet war, auch das genügte ihm, um die Handschrift des
ihm völlig unbekannten Künstlers nachzuahmen.
In einem andern Fall betrachtete Professor Fischer eine Schrift
eines Menschen, der ihm unbekannt war, Schermann ahmte sie
gut nach. An einem andern Tag stellte sich Fischer die Schrift
nur aus dem Gedächtnis vor, auch jetzt erfolgte eine sehr gute
Nachahmung. Dasselbe erfolgte, wenn man ihm ein Schriftstück
zu betasten gab, während ihm die Augen verbunden waren, oder
wenn man ihm das Schriftstück in einem Umschlag gab. Letzteres
erinnert an die Fähigkeiten von Frl. von B., von denen ich in
meinem Buch „Über Telepathie und Hellsehen" berichtet und die
ich mit Abbildungen belegt habe.
Es geht aber noch weiter! Schermann beschreibt auch aus der
Schrift den Charakter, die Lebensumstände, die Krankheiten der
betreffenden Person! Dr. Cattani legte Schermann ein Gedicht
einer Patientin vor, das diese etwa zwei Jahre vor ihrem freiwillig
erfolgten Tode verfaßt hatte. Er erkannte treffend ihre
Charakterveranlagung, er erkannte, daß sie Morphinistin und
Trinkerin war, und Sagte, sie werde durch Katastrophe endigen,
der erste Versuch werde wohl nicht glücken, weil er ungeschickt
angestellt würde. — Tatsächlich führte der erste Versuch, ein
Schnitt durch die PuJsadern, nicht zum Ziel, erst der zweite, ein
Sturz in den Fluß, ließ sie es erreichen.
Professor Fischer hat systematische Versuche gemacht, indem
er Schermann eine Schrift vorlegte, später dieselbe Schrift nur
betasten ließ, und drittens indem er sich die betreffende Person
nur vorstellte; in allen drei Versuchen, die natürlich gemischt
unter anderen Versuchen angestellt wurden, wurden nahezu
identische Ergebnisse erzielt. Jedesmal schilderte Schermann die
betreffende Person durchaus treffend. Zufall scheidet dabei aus,
dazu waren die Angaben viel zu speziell.
Es kommt aber noch toller! Er charakterisiert auch den Briefschreiber
, gibt die Länge des Briefes und seinen Inhalt an, wenn
man ihm die leere Brief hülle gibt. Und* noch mehr! Er gab
auch die Charakteristik, als man ihm die leere Briefhülle eines
Briefes gab, den ein Herr diktiert hatte! Der Diktierende war
ein Komponist, der au Zuckungen im Gesicht und an einer
schweren Augenkrankheit leidet, die ihn an das Dunkelzimmer
fesselt, so daß er sehr auf seine Frau angewiesen ist. Schermann
sagte nun aus dem leeren Umschlag des Briefes, den die
Frau des Komponisten saimt Brief auf sein Diktat hin geschrieben
hatte, daß der Verfasser ganz der Musik lebe, in der einen Gesichtshälfte
einen störenden und auffallenden Fehler und kranke
Augen habe. Er stehe in einem Abhängigkeitsverhältnis zu
beiner Frau.
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