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Literaturbericht
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Die Verfasser der beiden Schriften sind protestantische Theologen
, die jedoch bezüglich der Stellung des Christentums zur Theosophie
bzw. Anthroposophie (es ist von seiten Steiners und seiner
Anhänger ein dreistes Sophisma, hier einen wesentlichen Unterschied
machen zu wollen) ganz entgegengesetzter Meinung <md. H eisler ist
an der Hand vieler Belege vom Niedergang des kirchlichen Christentums
so sehr überzeugt, daß er glaubt, dessen Verfall könne einzig
durch Verschmelzung mit der Anthroposophie aufgehalten werden»
Er hat sich von Steiner derartig einfangen lassen, daß er geradezu als
anthroposophischer Agitator bezeichnet werden kann. Belustigend ist
dabei, in wie weitgehender Weise er das liberale Prinzip auch in die
Anthroposophie hineinträgt. Er sagt nämlich, daß nicht jeder, der sich
zur anthropo.sophischen Weltanschauung hingezogen fühlt, die in der
Bibel nicht genügend enthaltene Lehre von der Wieder Verkörperung
annehmen müsse. Bedenkt man, daß diese Lehre, wie Heisler selbst
hervorhebt, im Mittelpunkt jener Weltanschauung steht, dann wäre
die Ablehnung derselben seitens eines christlichen Theosophen etwa
so, wie wenn man die Richtigkeit des Kopernikanischen Systems anerkennen
, die Existenz der Sonne jedoch leugnen wollte.
Frohnmeycrs Schrift zerfällt in drei Abschnitte: Geschichte der
theosophischen Bewegung Lehrinhalt der Theosophie — Beurteilung
der Bewegung. Der erste Abschnitt füllt in vorzüglicher Weise
geradezu eine Lücke in der theosophischen Literatur aus, zu welcher
Arbeit der Verfasser insofern besonders berufen war, als er sich
30 Jahre in Indien aufgehalten und den Beginn der theosophischen
Bewegung miterlebt hat. Während er die Blavatsky und Besant treffend
charakterisiert, unterläßt er dies bedauerlicherweise mit Bezug
auf Steiner, obwohl es sich dabei, wie er selbst zugibt, um die Hauptfrage
handelt: ob Steiner Anspruch auf das nötige Vertrauen
machen kann. Er schreibt nämlich: „Von einer Charakterisierung des
höchst interessanten Mannes muß abgesehen werden, obschon schließlich
alles auf den Charakter efher derartig führenden Persönlichkeit
ankommt. Die Urteile tstehen sich hier zu schroff und feindselig
gegenüber." Nun, es dürfte schon nach meinen unwiderlegt gebliebenen
Feststellungen über Steiners Charakter doch nicht allzu
schwer sein, zu entscheiden, auf welcher Seite das richtige Urteil zu
finden ist. Übrigens klagt Frohnmeyer hin und wieder über Steiners
schlechten Stil, sowie über seine dunkle und mitunter recht sophistische
Schreibweise. Die Ausführungen des zweiten Abschnittes bestätigen»
die Tatsache, daß die theosophischen Erkenntnisse Steiners, die er
alle ganz selbständig gefunden haben will, in auffallender Weise vielfach
mit den Lehren Blavatskys und Besants übereinstimmen. In
diesem Abschnitt ist dem Verfasser ein Irrtum unterlaufen, wenn er
unter dem Einfluß der eine so große Rolle spielenden Siebenzahl von
sieben höheren geistigen Wesenheiten spricht (S. 63), während es, in
Übereinstimmung mit der katholischen Lehre, neun sind; sonderbarerweise
erwähnt er nämlich gerade die beiden bekanntesten Hierarchien
, die Engel und die Cherubim, nicht. Nachdem Frohnmeyer im *
dritten Abschnitt im allgemeinen dargetan, daß „die theosophischen
Enthüllungen etwas Verblüffendes, Abenteuerliches und Unbefriedigendes
haben", bespricht er eingehend die Stellung des Christen zur
Theosophie. Und da sagt er nun schließlich, im Gegensatz zu Heis-
ler und anderen entgleisten Pastoren: „Alles zusammenfassend halten
wir also eine Verständigung zwischen Christentum und der Seite der
Anthroposophie, die zugleich Religion sein will, für ausgeschlossen.
Ebensowenig kann von einer Bereicherung des Christentums die Rede
sein. Wir können nicht umhin, in dieser ganzen Erscheinung etwas
zu erkennen, das beängstigend für uns sein müßte, wenn wir nicht
einen unverwüstlichen Glauben in die Lebenskräfte des Evangeliums
hätten." Max S e i Ii n g.
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