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94 Psychische Studie«. XLVIIL Jahrg. 2. Heft (Februar 1921.»
wären auch so, wenn auch vielleicht später, der Uebermacht
unserer Feinde unterlegen, und die große Kraftanstrengung im
Frühjahr 1918 stellt noch einmal eine letzte Zusammenfassung
unserer Kräfte dar, bei deren Versagen tatsächlich das Schicksal
Deutschlands besiegelt war, wie das z. B. von englischen Militärkritikern
richtig beurteilt worden ist. Allerdings hat gerade hier
der Verrat eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, aber er hat
nach allem, was wir darüber wissen,*) unsere Niederlage höchstens
beschleunigt, und man darf nicht vergessen, daß eben die
inneren Verhältnisse ihn wesentlich gefördert haben, woran
wiederum der damaligen Regierung eine wesentliche Schuld beizumessen
ist, indem sie besonders Reformen auf dem Gebiete
des Militärwesens selbst abgelehnt hat. Wir sehen auch hier,
daß eine einseitige, nur auf das Verstandesmäßi^e gerichtete
Tätigkeit in ihrer höchsten Steigerung, wie sie gerade in dem
deutschen Militärsystem zum Ausdruck gekommen ist, kurz odei
lang eine Gegenbewegung von der anderen, der gefühlsmäßigen
Seite hervorruft, die zwar in diesem Falle nicht entscheidend
für den Verlauf des Krieges geworden ist, wohl aber unsere Entwicklung
für lange Zeit hinaus bestimmen wird. Und hierin
liegt auch ein wesentlicher Mangel an Ludendorffs Darstellung.
Dem genialen Strategen, der Millionen von Menschen wie Zahlen
zu handhaben verstand, ist das Wesen der Volksseele als solche
gänzlich fremd geblieben, und der große Rechner kommt deshalb
zu einem einseitigen und unrichtigen Ergebnis, als gegen Ende
dieses Krieges beide Gedankenrichtungen miteinander in Berührung
kommen.
Immerhin wird die hervorragende Bedeutung dieser Kriegserinnerungen
aus den früher erwähnten Gründen auch weiterhin
bestehen bleiben. Zu einer rein objektiven Geschichtsschreibung
genügen allerdings auch sie nicht, da uns heute noch
die Darstellungen aus dem andern Lager fehlen, die zu einer
Ergänzung der bei L. gegebenen Darstellung unerläßlich nötig
sind. Erst dann wird ein einigermaßen abschließendes Urteil
x) Bei Reims scheinen tatsächlich den Franzosen genaue Angaben
über unsere Angriffspläne gemacht worden zu sein (Ludendorff p. 535),
aber Ludendorff gesteht selbst zu, daß die deutsche Heeresleitung gerade
hier unseren Gegnern die Sache .sehr leicfit gemacht hat, wodurch
die Bedeutung jener ersteren Mitteilungen sehr abgeschwächt wird.
Bei Moreuil in Flandern (nach L. dem schwärzesten Tag der deutschen
Kriegsgeschichte p. 551) weigerten sich tatsächlich Mannschaften in
größerer Zahl, zu kämpfen, wofür auch die auffällig große Zahl der Gefangener
spricht, die damals unseren Gegnern in die Hände fielen, aber
es ist gerade hbr mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß
überanstrengte und verbrauchte Divisionen hier eingesetzt waren, was
mit dem Kräfteverhältnis, wie es damals zwischen den Gegnern bestand,
durchaus in Einklang steht. Demgegenüber ist das Versagen Bulgariens
von geringem Belang, zumal auch hier ähnliche Verhältnisse
vorgelegen zu haben scheinen, und ebenso der Umsturz am 9. November
, da sich das Heer damals schon auf dem Rückzüge befand und der
große Angriff im Westen endgültig mißlungen war.
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