http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0115
Böhm: Die Entwickelung des menschlichen Geistes.
111
des menschlichen Geistes („Psychologie) wurden, soweit möglich,
studiert, noch wenig aber beachteten die Gelehrten die Prozesse,
bei welchen unser bewußter Wille nicht mitwirken kann („Tiefenpsychologie
"). Über letzteres Gebiet soll nachstehend einige*
kurz mitgeteilt werden.
Durch die Erforschung der Material isationserscheinungen und
die Erfahnungen im der Biologie kann man zu folgenden Schlußfolgerungen
gelangen: Alle im tiefen Gedächtnis der Mütter wur*
zelnden Vorstellungen und alle heftigen Gemütsbewegungen sind
imstande, auf die Entwicklung und das Zellenwachstum des wer-
denden Kindes bestimmte Einflüsse auiszuüben. Die seit Erschaffung
des Menschengeschlechtes vorhandene innere Überzeugung
, daß das Kind menschliche Gestalt bekommen wird, ist
die Grundlage für die Form des neuen Geschöpfes. Nur, wenn
eine bestimmte Angstvorstellung diese ursprüngliche Vorstellung
an Stärke übertrifft, sie verdrängt, ist es möglich, daß an dem
wachsenden Körper abnorme Bildungen entsprechend der Angstvorstellung
entstehen, wie beim sogenannten „Verseheu". Das
in der Seele der Mutter eingegrabene Bild des Gatten verleiht im
Wettstreit mit der eigenen Ichvorstellung der Mutter dem Kinde
die Ähnlichkeit mit jenem oder dieser in Gesiebt, Größe, Haarfarbe
usw. Heftige Gemütserregungen bei der Mutter scheinen
mehr die Widerstandskraft der jungen Zellen zu beeinträchtigen«,
die Energie des Nervensystems im besonderen xmd die Gesundheit
des Kindes zu schwächen.
Nach der Geburt des Kindes wirken Vorstellungs- und Gemüts-
leben der Mutter nicht mehr auf den Leib, sondern auf die Seele
des Kindes. Im Anfange schlummert das Bewußtsein im Kinde
noch vollkommen, das Ichempfinden und die Außenwelt sind noch
nichl getrennt. Es besteht gewissermaßen noch ein inniger Zusammenhang
mit dem Universum/ Daß jedoch irgendwelche Einflüsse
vorhanden sein müssen, erkennt man an dem mitunter seltsamen
Mienenspiel, das ohne wahrnehmbare Vorgänge in der
Umgebung auftritt.
In diesem Zustande besitzt das Kind allein ein Einfühlungsvermögen
, wie es anormal erweise bei den sogen. „Medien" als
Überbleibsel aus dieser ersten Lebenszeit im hohen Grade erhalten
blieb. Diese Fähigkeit geht bei keinem Menschen ganz
verloren, jedoch zeigt sie sich meist mw im Schlafe, wovon ums
mancher „telepathische Traum" Zeugnis gibt, selten im Wachsein.
Außer von der Mutter können wahrscheinlich auch vom Vater,
von den Geschwistern, Großeltern und andern Personen, die in
Liebe dem Kinde zugetan sind und viel in dessen Nähe weilen,
Vorstellungen und Ideen übergehen. (Psychische Übertragung.)
Allmählich entwickelt sich das Ichempfinden, die Sinne treten
in Tätigkeit und Gegenstände und Vorgänge in der Umgebung
werden wahrgenommen. Da aber noch nicht der Wille und daher
die Aufmerksamkeit genügend stark sind, können diese Eindrücke
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0115