http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0116
112 Pisydhisdhe Studien. XLVIII. Jabrg. 2. Heft. (Ed>iw 1921.)
nicht geistig verarbeitet werden und es kommen nur unbewußte
Wahrnehmungen zustande. Diese spielen im ganzen Leben eine
nicht untergeordnete Rolle.
Wenn wir z. B. auf der Straße uns befinden, so sehen und
hören wir vieles und nehmen es in unser Tiefengedächtnis des
„Unterbewußtseins" auf, was wir, wenn wir hierüber befragt
werden, als nicht wahrgenommen bezeichnen, weil es uns eben
nicht bewußt wurde Nach einiger Zeit beobachtet man, daß der
Klang eines Glöckchens, ein sich bewegender Hampelmann, ein
auf die Zunge gelegter Zuckerstaub u. dgl., später auch gesprochene
Worte beim Kinde einen freudigen oder furchtsamen
Gesichtsausdnuck hervorrufen. Jetzt beginnt bereits der bewußte
Verstand zu arbeiten. Die Aufnahme durch -die Sinnesorgane
erzeugt eine Vorstellung, die bewußt wird. Diese Art der geistigen
Tätigkeit wird durch Erklärungen und Belehrungen im
Elternhause und später in der Schule immer mehr vervollkommnet
Das sog. Oberflächengedächtnis, welches beim schematischen
Lernen in Anspruch genommen wird, enthält nur die bewußten
geschehenen Eindrücke, das Unterbewußtsein hingegen bezieht
seinen Inhalt aus drei Quellen, nämlich aus Erfühltem, unbewußt
und bewußt Wahrgenommenem; das Unterbewußtsein vergißt
nichts. Es ist deshalb selbstverständlich, daß das viel reichhaltigere
Material des Unterbewußtseins, sobald keine Störungen, d. h.
sinnliche Reize bestehen, zu weit größeren Leistungen verwendet
werden kann, feinere Schlußfolgerungen auch bezüglich der Zukunft
sind möglich; wir sehen dies 'besonders beim Medium, Künstler
uüd Genie. Im Traum und beim Traummedium ist das Unterbewußtsein
allein tätig, beim Wachmedium im sogen. Wach*
träumen größtenteils, in der künstlerischen Ekstase bieten sich die
unbewußt entstandenen Produkte ungeraten an, der genial Schaffende
macht sich das Unbewußte Untertan, der reine Verstandesmensch
kann mit letzterem keine genügende Verbindung herstellen
. („Erscheinungsformen des geistigen Arbeitens".) Wenn das
Hereinidringen des Unbewußten ins Wachsein zu häufig und zu
stark geschieht oder der bewußte Wille zu schwach ist, rechtzeitig
entgegenzuwirken und abzuschalten, so können geistige Störungen
(Paranoia, Dementia praecox) entstehen. * Der alte Satz „Genie
und Irrsinn liegen nahe nebeneinander" ist vollkommen richtig.
Greifen optische oder akustische Symbolbilder aus dem Traumleben
in den Wachzustand über «und bleiben sie hier erhalten, so
kann dies zur Bildung von Zwangsvorstellungen und Wahnideen
führen.
Es wird deshalb Aufgabe der Erziehung sein, künftig eine
Arbeitsmethode in Anwendung zu bringen und zu üben, bei der
wie beim genialen Sehaffen das Ober- und Unterbewußtsein im
harmonischen Zusammenwirken tätig sind. Daß die Dressur des
Verstandes allein geistige Produkte, die für die Menschheit von
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0116