http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0154
150 P^chKeiu Studien. \L\UJ. Jahrg. 4. IKft. (Mar/ 1921.)
Voraussagen tun lassen. Das gilt besonders von denjenigen, die
(Ho Kausalität der Ereignisse bis zu einem gewissen Punkte richtig
augeben, dann aber irren, da an der betr. Stelle in Wirklichkeit
tine Gegenbewegung eingetreten ist, die jene erste Kausalitätsreihe
durchkreuzte. Als Beispiel möge der Volksglaube 1914
dienen, daß im folgenden Jahre Friedo eintreten werde, wenn die
Kirschen blühten, wozu die Ereignisse au der Südoslfront in diesem
Jahre zu vergleichen sind. Der Bericht darüber (Ps. St. 42. J.
1915 3 4. IL p. 149) ist einer Mitteilung der .Deutschen Wacht"
vom 14. Februar 1915 entnommen (mitgeteilt von E. W. Dob-
berkau), wonach einem Freund dieser Zeitung am 9. Februar
dieses Jahres folgendes belichtet wird: Eine a'te Frau aus der
Sächsischen Schweiz versorgte sich im Juni 1914 mit großen
Mengen von Lebensmitteln und gibt, deswegen befragt, Zeit
des Kriegsausbruches sowie das Verhältnis der Gegner richtig
an, während sie das Ende des Krieges auf deu 27. ApriJ 1915
ansetzt; die 1000 Mk., die ihr im Falle des Eintreffens in Aussicht
gestellt werden, lehnt sie ab, da sie am 9. Januar 1915
sterben werde, was nach der Angabe des Berichterstatters auch
wirklich geschehen ist. Weist schon diese Angabe darauf hin,
daß wir es hier mit einem Volksglauben zu tun haben, so erhalten
wir einen ähnlichen Hinweis durch die Mitteilung in derselben
Nummer dieser Zeitschrift (3./4. H. p. 146), wonach ein
Architekt aus Köln sich im Sommer J913 das Vergnügen machte,
sich von einem Zigeuner die kommende Zeit weissagen zu lassen.
Es wird ihm angedeutet, daß er im folgenden Jahre keine Reise
unternehmen könne, da dann Krieg ausbrechen werde, und der
Zigeuner findet sich im August 1914 bei dem Berichterstatter
ein, um im Falle der Richtigkeit der Prophezeiung die versprochenen
50 M. abzuholen; er behauptet dabei, daß Friede
werde, wenn die Kirschen blühen. Schon die Rolie, die der
Zigeuner hier spielt, weist darauf hin, daß wrir den Ursprung
dieses Glaubens auch hier beim Volke zu suchen haben und daß
beide Angaben auf dieselbe Quelle zurückgehen. Der Inhalt
dieses Glaubens war also folgender: ein siegreicher Feldzug (wo?
wird nicht angegeben) führt zu einem für die betr. Partei günstigen
Frieden, der etwa gegen Ende ApriJ 1915 zustande kommt —
daß die Mittelmächte (Deutschland und Österreich) siegen sollen,
ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, liegt aber mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit in der Angabe selbst. Vergleichen wir nun
damU die Ereignisse selbst, so ergibt sich tatsächlich, daß in
der ersten Zeit des Weltkrieges bis zu der angegebenen Zeitdne
Kausaireihe in aufsteigender Hinsicht in Tätigkeit gewesen ist:
es ist der siegreiche Kampf der verbündeten deutsch-f sterreichi-
sehen Heere gegen Rußland, der in dem bekannten Durchbrach
von Gorlice (Ludendorff p. 112) am 2. Mzi 1915 seinen Höbepunkt
gefunden hat. Ludendorff gibt selbst an, daß damals einer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0154