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152 Psychische Studien. XLV1II. Jahrg. 3. Heft. (März 1921.)
daneben noch Angaben, die sich zwar ebenfalls auf einen Weltkrieg
beziehen, aber so wenig zu dem ersten Kriegsjahre passen,
daß hier nur schwer ein innerer Zusammenhang zwischen Prophezeiung
und Wirklichkeit zu erkennen ist. Jene andere Angabe
von der Kirschblüte ist dagegen ein weitverbreitetes Sagenmotiv,
das sich nicht nur in der erwähnten Sage vom Birkenbaum findet
(die Krieger ziehen mit Kirschblüte geschmückt in jene Schlacht),
sondern auch sonst, wobei es entweder unheilbringend am Anfang
des Krieges steht (doppelte Kirschblüte an einem Tage gilt
als verderbenbringend) oder geradezu, als Symbol des friedlichen
Blühens im Sommer, den Frieden einleitet. Die große
Verbreitung jenes Volksglaubens vom Kriegäbeginn im August
1914 und dem Kriegsende z. Z. der Kirschblüte im folgenden
Jahre erklärt sich also an sich ganz ungezwungen entweder aus
einer Verbindung jener beiden alten Sagenmotive angesichts des
drohenden Weltkrieges oder aus jener Eschweiler Prophezeiung
direkt, deren Verfasser die Sage von der Schlacht am Birkenbaum
mit jenen beiden Motiven vom Kriegsanfang im Monat August
und dem Kriegsende zur Zeit der Kirschblüte verband, was von
dem Volke vielleicht wiederum (wenn dies noch vor Beginn de<*
Krieges geschehen ist und nicht erst nach dem Okt. 1915, wie
Zurbonsen meint) angesichts der gespannten europäischen Lage
vor Ausbruch des Weltkrieges auf das Jahr 1914 (vielleicht zuerst
auf das Jahr 1913) übertragen wurde, sodaß diese Angaben
tatsächlich die Haupttendenzen in der ersten Zeit des Krieges
wiedergeben, ohne daß man hier an eine wirkliche Voraussieht
der Dinge zu glauben brauchte.
Immerhin ist in diesem Falle das Zusammentreffen der verschiedenen
Angaben (auch die Sage vom Birkenbaum enthält ja
viele Einzelheiten, die auf den Weltkrieg zutreffen) und die
richtige Wiedergabe der Haupttendenzen im ersten Teile des
Krieges so merkwürdig, daß es sich wohl der Mühe lohnen würde,
gerade diese Prophezeiung ihrer Entstehung nach weiter zu verfolgen
. Wir wären gerade an der Hand dieses Falles imstande,
einen tieferen Blick in die Entstehung solcher Prophezeiungen
zu tun. Ist die Zeit nur eine Anschauungsform unserer Sinne,
d. h. gehen die Ereignisse in Wirklichkeit 'nebeneinander, so wäre
nicht einzusehen, warum der Urheber dieser Prophezeiung das
eine Mal richtig gesehen hätte (siegreicher Feldzug bis zum
Durchbruch bei Gorlicc), das andere Mal abet falsch (Frieden
1915), da doch die Ereignisse, die nach jener Zeit eintraten, in
Wirklichkeit den weitaus größten Teil des ganzen Krieges bilden
und erst später die Entscheidung gebracht haben; ebensowenig
wäre aber auch einzusehen, warum er zwar falsch gesehen hat
(der Durchbruch von Gorlice führte nicht zum Frieden), zugleich
aber das Datum (Anfang Mai 1915) richtig erkannte. Der
Lüsurg des Problems würden wir gerade Iiier durch die zweit*
Annahme nähergeführt, daß es sich hier um einen Einblick in
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