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Literaturbericht.
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läßt sich von ihnen nicht täuschen und verweist in allen Erscheinungen
als die wesentliche Triebkraft auf das Verlangen nach Umfassung oder
nach Sonderung. Auf diese zielt der abendländische Mensch ab, jene
erstrebt die Weisheit Indiens. Indem die einzelnen Züge dieses lebenerhaltenden
Ringens aufgezeigt werden, fallen gewichtige Worte übei
die okkultistische Bewegung. Sehr treffend scheidet der Verfasser
von der ernsthaften Forschung die neurasthenische Wundergier der
Menge, die nun, nachdem ihr infolge des wirtschaftlichen Zusammen»*
bruches materielle Genußmöglichkeiten in der Hauptsache versagt
sind, sich auf das okkulte Gebiet stürzt, um sich an Seelenclownerien
zu ergötzen. Er zeichnet auch, wie jeder, der diese Vorkommnisse
kennt, die Grenzen deutlich, die objektiv Erfahrbares vo.n inneren
Erleben trennen. Da^ ist um ,so verdienstlicher, als nichts die ernstliche
Befassung mit den okkulten Problemen so sehr erschwert wie
die vielfach übliche Gleichwertung beider Geschehuisreihen. Eine „östliche
Orientierung" kann in dieser Hinsicht auch für unsere derzeitige
Erforschung des Okkulten nur von Nutzen sein. Hans Freiniark.
Arthur Boehrn. Rätsel des Traumes und des Zufalls. Theodor
Weicher, Leipzig. 50 Seiten. 6,50 Mk. Vorrätig bei Oswald Mutze.
Seit Jahren geht der fvampt um die wissenschaftliche Anerkennung
der Traumprophetie. Die B o e h rn sehe Schrift bringt wertvollste
Beiträge in ansprechender, überzeugender Form. Wie die
meisten Fachforscher ist auch B. durch eigenes Erleben und Beobachten
in das Problem hineingeführt worden. „Meine Beobachtungen
,'* versichert er, „sin$ durchaus wahrhaftig. Ich habe, wie vor
Gericht, nichts hinzugetügt und nichts verschwiegen, und führe alles
an, wie unter dem unmittelbaren Lindruck niedergeschrieben." Wie
Schopenhauer, ist auch ihm der Wille das Grundph?nomen
des seelischen, also auch des Traumlebens. Der Wille aber ist auf
lebendiges Auswirken gerichtet. Daher die vielen Todesprophezeiungen
bei Gefährdung dieser Whkungsmöglichkeit im Menschen-
leibe. Das plötzliche Aufwachen aus Schreck- und Verfolgungsträumen
bedeutet vielleicht — den Tod, und ein solcher Traum ist wie ein
Gleichnis: „denn wir erwachen wohl auch aus diesem Leben, das wir
jetzt für das wirkliche halten (ebenso wie im Traume das Traumleben),
wenn uns das verfolgende Ungeheuer, d^r Tod, erreicht hat, zu einem
anderen Leben, demgegenüber das jetzige auch nur wie ein Traum gewesen
ist.*'
B. hält es für erwiesen, daß Gedankenübertragungen von Mensch
zu Mensch im Wachen wie im Schlafen stattfinden, und berichtet auch
Fälle von Hellsehen im Traum, wo ein aussendendes Gehirn
also nicht in Frage kommt* Er tiäumt z. B. eine Eisenbahnfahrt
hinter der Front, mit feindlicher Beschießung durch Artillerie, und
liest gleich nach dem Aufstehen in der Zeitung, daß ein Zug an der
polnischen Grenze von den Polen mit Artillerie beschossen sei, — ein
(April 1919) gewiß nicht alltägliches Vorkommnis! „Es ist beinahe
so, wie wenn der schlafende Geist in der Zeitung hätte lesen können/*
Die Raum- und Zettlosigkeit des Traumlebens, seine Unabhängigkeit
von der Kausalität (die mir freilich recht anfechtbar erscheint!) veranlaßt
B. zu der Frage, ob uns die Traumerlebnisse nicht einen Begriff
geben könnten von dem, was uns in einem künftigen Leben erwartet.
Die Seele streift im Traume die Fesseln irdischen Daseins ab, wenn sie
auch in gewisser Abhängigkeit vom Schlafenden bleibt." Und gerade
die unerhörte Intensität unserer Empfindungen, die sich schon auf
Grund ganz geringfügiger Ursachen bis zum Gipfel, bis zum absoluten
Entzücken oder Grauen steigern können, läßt uns ahnen, wie Glück
oder Unglück im Jenseits beschaffen sein könnten. Gott könnte uns
mit Leichtigkeit belohnen oder .strafen —- er brauchte unsere
T r a tt m s e e 1 e nur weiter träumen zu lassen, je nach
Leipzig.
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