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262 Psychische Studien. XLV1JI. Jahr«. 4.-5. lieft. (April-Mai 19210
auch ein naiver Ausdruck sowohl in Worten als in Bewegungen
und er ist das wichtigste Bestandstück der Grazie.
Mit dieser naiven Anmut drückt das Genie seine erhabensten und
tiefsten Gedanken aus; es sind Göttersprüche aus dem Mund
eines Kindes."
Ein echtes Genie ist immer auch ein echter Idealist. Ein
Größenwahnsinniger bringt es bloß zum Phantasten. Auch hier
belehrt uns Schiller in seiner tiefgründigen Art: „Der wahre
Idealist verläßt nur deswegen Natur und Erfahrung, weil er hier
das Umwandelbare und unbedingt Notwendige nicht findet, wonach
die Vernunft ihn doch streben heißt. Der Phantast verläßt
die Natur aus bloßer Willkür, um dem Eigensinne der Begierden
.und den Launen der Einbildungskraft desto ungebundener nachgeben
zu können.
Der Phantast verleugnet also nicht bloß den menschlichen, er
verleugnet allen Charakter, er ist völlig ohne Gesetz, er ist also
gar nichts und dient auch zu gar nichts. Aber eben darum, weil
die Phantasterei keine Ausschweifung der Natur, sondern eine'
der Freiheit ist,—so führt sie auch zu einem unendlichen Fall in eine
bodenlose Tiefe und kann nur in einer völligen Zerstörung endigen."
Klarer lassen sich Genie und Wahnsinn nicht unterscheiden
und bezeichnen. Man beziehe diese Lehrsätze auf unsre gegenwärtigen
sogenannten Genies, vergleiche sie an den Größenwahnsinnigen
, wie sie sich uns in einem Häußer, Mülle r-Seerin-Hom-
burg und ähnlichem Erscheinungen unserer chaotischen Zeit darbieten
, wie sie uns die politischen Phantasten, die alle zu den
Größenwahnsinnigen gehören, zeigen, — dann wird man genau
unterscheiden können, was ist.
Christus ist überhaupt mit einem anderen Maßstab za messen.
Wir wissen von ihm nur überlieferte Worte und Werke, die wir
nicht mehr kontrollieren können und die sich daher mehr oder
weniger an unseren guten Glauben wenden. Wenn wir in dieser
Frage richtig wollen urteilen können, ob Genie oder Größenwahnsinn
, so müssen wir das Experiment an Menschen anbellen,
deren Existenz noch nachzuprüfen ist oder die überhaupt noch
leben. Und hier werden wir am ersten klar sehen, wenn wir uns
an das Wort des großen Weisen von Nazareth halten: „An ihren
Früchten sollt ihr sie erkennen !"
Zur Prophetie des Herrn >♦ Gillhausen.
Von Dr. C. Vogl (Unterneubrunn).
An der „Prophetie'' des Herrn v. Gillhausen (im Januarheft
der „Psych. Stud.") wird mir so >r/echt bewußt wie mißlich es bestellt
ist um „Prophezeiungen", die sich beziehen auf Geschehnisse
der Weltgeschichte, zumal auf das dämonisch gewaltige Ereignis
des Weltkrieges. Nicht als ob mir im vorliegenden Fall^
die Echtheit des Dokuments fragwürdig erschiene, keineswegs
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