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Vogl: Zur Prophetie des Herrn v. Gillhausen. 263
Aber ich kann darin eine Prophetie im Sinne der okkulten Forschung
nicht erblicken und halte es für geboten, sich immer wieder
klar zu werden über das Wesen einer Prophetie oder eines
Vorgesichts.
Im Jahre 1900 war ich Gast eines preußischen Generals.
Unter den höchst interessanten, mit militärischer Knappheit hingeworfenen
Äußerungen meines klugen Gastgebers ist mir eine
stets von besonderer Wichtigkeit gewesen; deshalb vermag ich sie
heute noch wörtlich wiederzugeben. In einem Gespräch über
einen etwaigen kommenden Krieg sagte «der General: „Sollten
wir einen Krieg bekommen, beispielsweise mit Nordamerika (!),
so sind wir überall die ersten am Platz und werden zunächst Erfolge
haben, denn wir sind vollbereit, und in keinem Generalstab
der Welt wira so fleißig gearbeitet wie im deutschen. Aber zum
Schluß werden wir einen Fußtritt bekommen, von dem wir uns
nie wieder erholen werden." War dieser Mann ein Prophet?
Teh habe ihn nie als solchen angesprochen, selbst wenn sich seine
Überzeugung in symbolischen Träumen Ausdruck gegeben haben
sollte, wovon mir nichts bekannt ist.
Sofort nach Ausbruch des Weltkrieges eilte ich entsetzt zu
einem benachbarten Kollege*? und rief ihm zu: „Das ist der Anfang
von unserem Ende." Ich fand den Kollegen zu meiner Überraschung
kriegsbegeistert; er erwiderte mir mit überlegenem
(fast spöttischem) Lädhein: „Das wollen wir abwarten." Noch
im August 1914 schrieb ich ernenn Artikel „Die Armut", der mit
dem Satze begann: „Nach dem Kriege wird Deutschland ein armes
Land sein." Der Herausgeber der Zeitschrift korrigierte: „Nach
dem Kriege wird manches Land ein armes Land sein"; denn sonst
hätte der Artikel die Zensur nicht passiert. — Bin ich ein Prophet?
Ich denke nicht daran, dieses Prädikät für mich in Anspruch zu
nehmen. Freilich einsam und angefochten war ich wie ein echter
Prophet. Man war entrüstet — und dies in akademisch gebildeten
Kreisen! — wenn ich nicht glauben wollte, der Krieg würde in
kürzester Frist zu Ende spin und wir als Sieger dastehen; wenn
ich meinte, die Engländer würden wohl recht haben mit ihrer
Kalkulation — nicht Prophetie! —, die dem Kriege von vornherein
eine 4—5jährige Dauer voraussagte. Niemals dachte ich daran,
daß England ruhig zusehen oder vielleicht gar zu Wilhelm sich
schlagen würde, wrelch letzterer bekanntlich Anspruch auf den
„Dreizack des Neptun" und auf die „AdmiralscJiaft des Atlantischen
Ozeans" erhoben — und diese Ansprüche in alle Welt hinausposaunt
hatte (entgegen den primitivsten Regeln diplomatischer
Klugheit und Vorsicht). Ich hätte mich vielmehr höchlich
gewundert, wenn England anders gehandelt hätte, als es tatsächlich
handelte. Als geborener Österreicher kannte ich die Ambitionen
Italiens und hielt den Dreibund, zumal in einem solchen
Ernstfälle, für etwas mindestens sehr Unzuverlässiges. Rußland,
der „Riese auf tönernen Füßen4*, schien mir der einzige Gegner,
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