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378 Psyolnitsicbe StaMen. LXVIII. Jahng. 7. Heft (Juii 1921.)
das besondere Interesse, was sie für die unglückliche Königin
empfanden^ und die tragischen Eindrücke, welche aus den Schooß
einer dunklen Vergangenheit ihnen wurden, in einen ekstatischen
Zustand geraten sein, welcher das Phänomen des Doppelgängers
bei ihnen erzeugte, der nun sich wie ein Taucher in das Meer der
Vergangenheit hinabließ, um dort jene seltsamen Beobachtungen
zu machen. Da das Phänomen des Doppelgängers sich o£t genug
ganz ohne Bewußtsein der Sensitiven erzeugt, so konnten die
beiden Damen später von den Ereignissen reden, als wären sie
ihnen unmittelbar geschehen.
Es gibt nun außer dem bereits angeführten noch andere Züge
in dem Bericht, welche sich vom Standpunkt der veridiken Halluzinationshypothese
m. E. nicht wohl erklären lassen. Ich zähle
dahin die abwehrende Bewegung, welche nach dem Bericht der
Familie Crooke, die auch von den beiden Lehrerinnen beobachtete
weißgekleidete „Lady", in welcher man nach der Gesamilage, besonders
wenn man die Versailler Tradition hinzunimmt, mit
Sicherheit die Königin Marie Antoinette vermuten darf, in dem
Augenblick machte, als der Maler Crooke neugierig das Papier,
welches sie in der Hand hielt, genauer anzusehen versuchte. Die
Gestalt sah den Maler nicht an, wandte aber die Zeichnimg zur
Seite. Nach meiner Auffassung würde sich der Vorfall so abgespielt
haben: Die Königin M. A. sitzt ihrer Gewohnheit nach
eines Tages im Park von Trianon und zeichnet. Sie hält gerade
die Zeichnung, um sie zu prüfen, auf Armeslänge vor sich hin.
Plötzlich aufblickend sieht sie mehrere fremde Personen in ganz
ungewohnter Kleidung und von seltsamem Totaleindruck vor sich
stehen. Sie hat sofort das Gefühl des Fremden, Abnormen, Unheimlichen
. Sie sitzt ganz still fand nimmt von den Personen
absichtlich keine Notiz; nur als die eine näher herantretend in
das Papier zu sehen versucht, wendet sie in vermehrter Beklommenheit
triebartig das Blatt abwehrend zur Seite. Als nach
wenigen Augenblicken die Gestalten verschwunden sind, erkundigt
sie sich bei den Parkwächtern, ob sie hier fremde Personen
hereingelassen oder sonst bemerkt hätten. Diese verneinen. Kopfschüttelnd
geht die Königin zu ihren Hofdamen, erzählt ihnen das
Geschehnis, und man kommt zu demselben Ergebnis, zu welchem
die beiden englischen Lehrerinnen kamen, nämlich, daß es im
Park von Trianon spuken müsse. Selbstverständlich hätte es die
Königin hier auch nur mit den Doppelgängern der Familie Crooke
zu tun gehabt. Die Fähigkeit zur Hervorbringung dieses Phänomens
muß der Familie C. aber auf alle Fälle zugesprochen
werden denn auch vom Standpunkt der veridiken Halluzinations-
hypothese wrar sie sicherlich sensitiv, da sie sonst eben gar keine
Halluzinationen hätten haben können.
Weiter wräre heranzuziehen das sonderbare Lächeln, welches
mehrfach in dem Bericht der beiden Engländerinnen ausdrücklich
erwähnt wird, und das sie bei einigen der ihnen begegnenden
Gestalten wahrgenommen haben. Nach meiner Auffassung er-
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