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Ilänig: Ein Theologe über Theosophie und Hellsehen, 381
Hellseher wird so das Anschauungsbild zum Symbol und zur
Manifestation der übersinnlichen Wirklichkeit. Er sieht nicht
wirkliche Farben oder hört nicht wirkliche Töne, sondern er schau*
nur Geistesfarben mit dem Geistesauge usw., d. h. er will einerseits
zwar nicht — sinnliche Wahrnehmungen machen, betont aber
anderseits, daß es sich um solche, wenn auch höherer Art, handelt,
die nur durch Vergleichung mit jenen veranschaulicht werden
können. Es handelt sich hier also um das „neuartige Ergebnis
einer gesteigerten Potenz der inneren sinnlichen Wahrnehmungsform
" (p. 65). Diese Wahrnehmungen sind, wTie zahlreiche Zeugnisse
beweisen, tatsächlich vorhanden; aber dürfen diese gesteigerten
Sinneswahrnehmungen so bewertet wrerden, wie es der
Anthroposoph tut, d. h. haben sie Anspruch auf allgemeine Anerkennung
? Woher soll eine solche Manifestation der realen
Welt plötzlich kommen und welches Kennzeichen' bringt sie zur
Beglaubigung ihres Ursprungs? (p. 55.) Wir haben zunächst nur
eine ungewöhnliche Sinneswahrnehmung, die durch persönliches
Erleben als Symbol übersinnlicher Wirklichkeit gedeutet wird.
Die Wissenschaft muß hier erst den Weg der sinnlich-wissenschaftlichen
Erklärung zu Ende gehen, bevor sie sich jene übersinnliche
Deutung zu eigen macht, d. h. sie muß erst versuchen,,
diese Vorgänge sinnlich zu deuten, ehe sie eine übersinnliche Erklärung
gelten läßt. Es liegt also (p. 66) hier viel näher, solche
Anschauungsbilder durch seelische Vermittlung entstanden zu
denken, als durch eine Einwirkung des übersinnlichen Objekts.
Ein Beispiel: Der Hellseher konzentriert sein Wahrnehmungsvermögen
auf eine Person seiner Umgebung, er sammelt bewußt
oder unbewußt seine Eindrücke von dieser Persönlichkeit, drückt
sie durch Konzentration und Meditation ins Unterbewußtsein
hinab, bis sie von dort als einheitliches Gesamtbild aufsteigen
und so dem Hellseher als Offenbaruug erscheinen. So erklären
sich nach dem Verf. denn auch ganz ungezwungen die symbolischen
Vorstellungsbilder, indem z. B. der Hellseher den Rachegedanken
als Pfeil sieht, es sind eben nur unbewußte Vorstellungen
, die aus der Seele des Schauenden aufsteigend in seinem Bewußtsein
erscheinen und" die er dann für eine höhere Wahrnehmung
hält.
Ohne Zweifel sagt hier der Verf. vieles Richtige, wie denn auch
diese Einwände schon lange vor ihm gemacht worden sind. Der
Weg der Intuition, der hier geschildert wird, ist sehr unsicher,
da beständig die Gefahr naheliegt, daß hier Eindrücke des Unterbewußtseins
einfließen, die für höhere Erkenntnisse gehalten
werden. Aber zunächst eine Frage: Genügen die Argumente
Bruhns, um in diesen Wahrnehmungen schlechthin nur solche des
Unterbewußtseins zu sehen? Liegen Tatsachen vor, die uns zu
der .Annahme nötigen, daß auch andere Wahrnehmungen als
diese vorliegen können oder sogar vorliegen müssen? Um zunächst
einmal bei den Ausführungen des Verf. stehen zu bleiben:
er gibt selbst zu, daß dem Menschen gewisse Erkenntnisse, wenn
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