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Hänig: Ein Theologe über Theosophie und Hellsehen. 383
Wahrnehmungen beanspruchen, ernst genommen zu werden, auch
Mittel und Wege finden muß, um Wahres und Falsches (letzteres
nicht nur von Täuschungen des Unterbewußtseins, sondern auch
von Wahrnehmungen der höheren Welt selbst) unterscheiden
zu können. Der Mensch, der die höheren Welten betritt, muß
hier mit einem Kinde verglichen werden, das auch die Eindrücke
der Umgebung in sich aufnimmt, aber auch jeder Sinnestäuschung
zum Opfer fallen wird. Sehr richtig bemerkt hier der Verfasser,
daß es die Gleichsetzung von Ich-Weltseele ist, die den Theo-
sophen über diese Schwierigkeiten hinwegsetzt. Es ist in ihm die
Fähigkeit eben gegeben, Wahres von Falschem unterscheiden zu
können, da der tiefste Kern seines Wesens eben Gott selbst ist,
und es würde sich nur fragen, ob er die Hindernisse soweit beseitigen
kann, daß er diese Fähigkeit wirklich anwenden kann.
Man wird allerdings dem Verf. auch hier wieder entgegenhalten
können: hat er durch Annahme jener allgemeinen Intuitionen
nicht selbst diese Gleichsetzung vollzogen? Weist nicht das Vorhandensein
solcher Begriffe eben darauf hin, daß diese Einheit
einmal vorhanden gewesen ist und daß eine geistige Höherentwicklung
eben wieder diese trennenden Unterschiede beseitigen
könnte? Es gilt hier, ein Argument gegen das andere zu setzen,
wenn wir zu einem einwandfreien Denken über das Denken selbst
kommen wollen, wie sich Steiner einmal ausdrückt, und der Verf.
hat sich gerade hier die Sache etwas leicht gemacht, wenn er ein
wissenschaftlich an sich berechtigtes Prinzip (zum Unbekannten
nur dann fortzuschreiten, wenn das Bekannte nicht ausreicht) ohne
weiteres, wie das leider immer -wieder auf diesem Gebiete geschieht
auf das transzendente Gebiet zu übertragen sucht. Man
wird also, wenn man das Prinzig allgemeiner Intuitionen gelten
läßt, ebenso die tatsächliche Möglichkeit eines solchen Hellsehens
anerkennen müssen, wie derjenige, der ein Leben nach dem Tode
ai nimmt, da damit auch zugleich die Annahme transszendenter
Erkenintnisorgane gegeben ist, wTomit zugleich, wie das in der Natur
der Sache läge, auch die Fähigkeit verbunden wäre, Eindrücke
des Unterbewußtseins als solche zu erkennen und auszuscheiden.
Man wird allerdings auch hier die Frage erheben müssen r
ob diese Erkenntnisse dann wirklich so sind, daß sie als allgemeiu
gültig angesehen werden dürfen oder ob es sich dann eben nicht
nur uni individuelle Wahrnehmungen handelt, da der Gradmesse
r, an demsiegem essen wer den, dasGefühl
für das Wahre, nur dem betr. Hellseher gegeben
i s t. Und dasselbe gilt natürlich auch für den, der nicht einmal
das Leben nach dem Tode als gegebenen Faktor annimmt. Nur
der einzelne kann dann Jenen Weg gehen, und es muß von hier
aus wenigstens theoretisch die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis
offengelassen werden. Das scheint wenig zu sein von dem
großen Programm, das uns die Theosophie bietet, und ist doch
genug, wenn wir bedenken, daß nicht der Verstand dazu berufen
ist, in die letzten Fragen des Daseins einzudringen. Das Tiefere
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