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434 Psychische Studien. XLVlll. Jahrg. 8. Heft. (August 1921.)
zu wollen, was er (Stekel) in seinen ,,Tr!iumen der Dichter" ahnend
aufgedeckt hätte. Tnd das stimmt: denn in Elisarions klaristischer
Idee laufen, wie in einen: Brennpunkte, die Strebungen zusammen,
die einzeln (und daher beirrt und abgelenkt) in soviel einzelnen hervorragenden
Geistern walteten.1)
Ein weit bekannter Züricher Pfarrer, der zur psychoanalytischen
Richtung gehört, klagte mir, die Psychoanalyse erstickte in der Psychologie
, will sagen, im psychologischen Einzelmaterial, und käme
darüber nicht hinaus, weil ihr der grosse metaphysische Horizont
fehle, und nur der Klarismus könnte ihn ihr geben. Ein anderer
Psychoanalytiker klagte, dass in der Psychoanalyse, bei allen Einzelforschungen
der Einzelprobleme, das Problem dei Seele eigentlich
überhaupt nicht gestellt wäre. Wohl begreiflich! denn der mechanistische
Untergrund auch der Psychoanalyse (wie unserer ganzen
heutigen Qeistigkeit) bewirkt eine negative Halluzination, die um nichts
weniger bizarr ist als jene, von der Forel berichtet, wo der Hvpnoti-
sierte sich selbst im Spiegel „kopflos" sah. So tut die heutige Naturwissenschaft
mit ihrer Leugnung von Eigenwert und Eigenwesenheit
des Individuums, mit ihrer Leugnung der spezifischen
Innerlicakeit der Geschehnisse, mit ihrer Leugnung der Lebens-
mehrung und Energogenese im Individuum. Da sind wir denn
glücklich zu dem Begriff der vEunktion an sichu gelang*, der dem
einsamste ! Zellenphilosophen des Mittelalters alle Ehre bereiten würde.
Die mechanistische Naturwissenschaft, in Diensten der technischen
Bedürfnisse der grossen sozialen Hungerfron, verschrieb sich dem
Buchhaltergeiste der Mathematik und da sieh nur gleichartige Grössen
verrechnen lassen (3 Gänse und 3 Schafe lassen sini nicht addieren,
ausser wenn man ihre Eigenschaften streicht und sie als „Tiere" unbestimmt
zusammenfasset), so beseitigte sie Sehritt für Schritt alle
Eigenschaften, alles Qualitative, und gelangte so zu nichtigen Quantitäten
, die nur äusserlich an gleichfalls ([ualitätlosen Leistungen d(r
blossen Bewegung gemessen werden konnten. I)a^ hinter diesem
qualitätslosen Sein der Unsinn an sich oder aber die zwingende Anerkenntnis
des Seelisch-Innerlich-Strebenden steht, und damit die Abdankung
der Mechanistik, will ich hier nur streifen.2) Das Entscheidende
für meine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse ergibt
sich schon aus dem Angedeuteten: in der maßsüchtigen Beseitigung
des Qualitativen steckt schon logisch, auch vfeun die Naturwissen-
*) Wenn ich auch im folgenden die Gedanken Elisarions in entscheidenden
Zügen wiedergebe, muss ich doch nachdrücklichst auffordern, dass
jeder, der sieb mit psychischen Studien befasst, die Werke Elisarions seihst
lese und eindringlich durchdenke: „Ein neuer Flug1* (1911), „Heiliger
Frühling*' (1913), „3000 Jahre Bolschewismus'4 (1921), auch das
Werden des Klarismus in seinen Gedichtwerkcn „Leben und Lieben u,
„Auferstehung4', „An Edens Pforten*4 und „Hymnen der Heiligen
Burg14 verfolge; alle im Klaristischen Verlag Akropolis, Leipzig.
2) In meiner „Zukunft der N atur44 (1916) bin ich all diesen Einzelfragen
nachgegangen, und meine in Vorbereitung befindliche „Kritik der
reinen Mechanik44 versetzt der Mechanistik den Todesstoss.
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