http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0460
438 Psychische Studien. XLVIII. Jaihrg, 8, Heft. (August 1921,)
getragen, noch einmal neu zu werden. Die Psychoanalyse hat sich
in den „Oedipuskomplex" verbissen, weil sie — das Eigenwesen, die
wahrhafte Seelen-Tatmaeht leugnend — im Erotischen immer nur den
Fortpflanzungs- oder allerhöchstens den irdischen Wiedergeburtstrieb
anerkannte, wo es vielmehr der Aufstiegtrieb der Seele, über alle
irdische Notwendigkeit von Geburt und "Wiedergeburt hinweg, ist,
der im Eros die Seligkeit der Klar weit vorher empfindet. Das
Erotische ist die Verklarung der Libido. Und wenn die Zärtlichkeit
der Mutter erotisches Erleben im Kinde ^weckt, so ist es eben
die warme Harmonie, die so emporhebend wirkt — nicht etwa ein
latenter Drang, in die Mutter einzugehen; und wa<* die Seele in der
Mutter fürchtet und ablehnt, ist nicht das „Inzestverbot" und somit
die Verhinderung dieser Selbstwiedererzeugung, sondern es ist, wenn
man schon in solche metaphysische Wunschtiefen steigt, vielmehr die
Geburt an sich, die, durch die Geburt erfolgte, "WiederVerknüpfung
der Seele mit dem irdischen Leben, mit dem Zwangstande der Natura-
Mortura; es ist die Absage an die „allerzeugende Todesmutter46.
Von der Libido weg — hin zu Eros; aus dem dumpfen Drang weg
— hin zu gestaltender Kraft; aus dem Dunklen und Unbewussten
weg — hin zum Lichte, zum Geiste; aus dem Chaos weg — hin zu
Gottes Klarwelt! Das ist die grosse Weltrichtung der Seele als eines
Eigenwesens: mit diesem Kompass des Klarismus würde die Psychoanalyse
zum Heiland werden können, statt, nur zu oft, ein Eisenbart
zu sein und sich in abgeschmackte lächerliche Widersprüche zu verrennen
. Freud erkannte reichlich einseitig die sexuell-erotische
Wunschwirzel der Träume; über ihn hinaus wurde seine Entdeckung
zur Klärung vieler Mythen, als ebensolcher Jahrhundertträume von
Völkern, tiefsinnig verwandt; ein Metaphysisches stellte sich ein, aber
noch durften die mythischen und religiösen Werte immer nur Fiktionen
t>ein, nur „psychologische Bealität" und tatsächliche Nichtigkeit
besitzen, so dass sich das reiche Leben und Erlebei der Seele in
eine symbolische Wandlungsreihe der ur-einen Libido verflüchtigte.
Als ob! Dann tauchte in noch vertiefter, grosszügiger Weise, wie in
Herbert Silberers Prot lernen der Mystik14 hinter der Inzestidee
der buddhistische Nihilismus auf, und so endigte die lebenskräftige
Grundidee, mechanistisch infiziert, eben in dem allgemeinen Nihilismus
der verwesenden Menschheit. Umsonst und sinnlos ward alle
Seelenhilfe.
Aber hier reibst der Klarismus uns aus dem toten Punkte mit
seiner lebendig neuen und einzig logischen, axiomatischen Einstellung
des Menschen zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen, zur
Welt und zu Gott: eben mit dem gewaltigen Ewigen Dramatismus,
der aus dem absoluten Dualismus und der Eigenwesenheit fliesst.
Umsonst zerquälte sich die Psychologie und Psychoanalyse über das
rätselhafte Verhältnis des Bewussten zum Unbewussten und suchten
diesen offensichtlichen Dualismus wegzueskamotieren. Im Klarismus
ist dieses Yerhältnis einfach, klar und logisch, ist doch das Chaos
mit all seinen ringenden Seelen unbewusster Drang an sich und steht
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0460