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v. Mayer: Psychoanalyse und Klarismus 439
ihm doch die Geistesmaeht Gottes gegenüber: was wir „Bewusstsein"
nennen, mit all seinem Kommen und Gehen, im Erwachen und Einschlafen
, im Erinnern und Vergessen, das ist der Einfluss der
gottlichen Geistesmacht in der einzelnen Seele (und ihrem
gestalteten Leib-raume), je nach ihrer Empfänglichkeit inmitten aller
fördernden oder aber störenden „Interferenzen" anderer Seelenmächte,
Die Seele ist zunächst, im Urzustände unbewusst, ist blinder Drang,
wird von Gott her angegeistet (geistig „induziert'1), kommt zu gestaltender
Einigungskraft und ringt sich durch immer neue Gestaltung
zur Verklärung, zur Transsubstantiation, zur transgravitativen Raum-
erffillung (jenseits von Eaum und Masse) und zum vollen Klar-
bewusstsein empor. Die Seele ist nicht Geist, doch verbindet
sich mit ihr die geistige Kraft, und ihr „unbewusstes Denken" ist vielmehr
ihr echtes, unbewusstes Gestalten und Fugen ihrer zugehörigen
rhytmisehen Elemente, die in gegebenem Augenblick wohl wieder den
Geist empfangen, d. h. bewusst werden können. Und mit dem
Zerfall der Gehirnzellen stirbt wohl der Erinnerungszusammenhang
des gegebenen Lebensverlaufes ab und braucht nicht irgend nachweisbar
sich in der Seele bewusst weiter auszuwirken, sondern nur
was die Seele, bei ihrer Lebensarbeit, wahrhaft in sich als Reifezustand
aufnahm, das bleibt ihr über das eine Leben hinaus eine
Mehrkraft für eine neue Laut bahn der Gestaltung: in ihrem Willen
zu innerstem Besitz geworden, auch wenn im Gehirn des neuen
Lebens sich keine Erinnerung an früheres Dasein einstellt. Das
Nebeltröpfchen zerrinnt, wenn sein dynamischer Zentralpunkt ihm entfuhrt
wird (z. B. durch den elektrischen Strom), aber neue dynamische
Zentren rufen neue Nebeltröpfehen im dampf gesättigten Räume
hervor und das entschwundene Kraftzentrum wirkt an anderer Stelle
wiederum gestaltend: so die Seele, die aus der Materie vererbten
Eiweisses eine Gestaltung schafft, wo ihr Eigenes und das Ererbte
einen Kompromiss eingehen, eine mehr oder minder echte rhytmische
Klangfigur; ändern sich die Bedingungen, so stirbt der Leib, und
die Seele muss einer neuen Gelegenheit zur Gestaltung harren. Was
ihr aber vor allem anderen gestattet, ihr jeweiliges Leben fruchtbar
zum Aufstieg zu verwenden, das ist die eurhytmische Harmonie
zwischen der einen Seele und einer andern, zwischen dem einen
Leibe (— seelischer Gestaltungssphäre, seelischem Entsendungs- und
Empfangsorgane rhytmischer Schwingungen) und einem anderen. Die
Seelen können einander sowohl direkt als auch auf dem Umwege des
leiblichen vStrahlungsaustausches beeinflussen und fördern. Und diese
eurhytmische Doppelschwingung ist das Erotische; Eros wirkt die
Eurhytmisierung des Lebens in den Eigenwesen. Und nur
dies ist der Weg der Genesung der dysrhytmisehen, unharmonischen
Welt, der Weg zu Gott mit Gott. Und dies ist Elisarions Klare
Kundf\ Hier ist die Verdrängung des Eros aufgehoben, nicht in
nihilistischer Rückkehr zu brutaler Urlibido, sondern in lichter Befreiung
und Beflügelung der Seele. Hier ist die Seele zur Wahrheit
geworden und all die Geschichte der Natur und der Mensch-
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