http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0475
Noris: Die okkulte Forschung im Lichte des Kulturfortschritts. 463
Entscheidung berechtigt und befähigt ist, ja das vielleicht schon
jetzt, vollkommen unbeeinflußt und unbewußt, in seiner Neigung
zum Okkultismus die richtigen Wege ahnt, die über ein solch'
katastrophales Ereignis hinwegführen könnten.
„Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen
voraus44 sagt uns Alexander von Humboldt, aber die ebenso
lebenswahren wie lebenswichtigen Worte dieses tiefgründigen
Naturkenners haben leider bei der Nachwelt kein Verständnis
und keinen Widerhall gefunden. Sie hätten uns sonst doch
vernünftigerweise schon längst dazu veranlassen sollen, unserem
Ahnen eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken, Mittel
und Wege zu suchen, um aus ihm möglichst rasch zum Wissen
zu gelangen, kurz es als eine uns von der Vorsehung verliehene
d. i. natürliche Wissensquelle von größter Bedeutung zu erfassen
und zu nützen. Dementgegen leben wir in einer Zeit,
die dem Empfindungsvermögen des Einzelnen und dem Ahnen
der Allgemeinheit jede Daseinsberechtigung und Urteilsbefähigung
schroff und grausam abspricht und nur den einen Wegweiser
auf den Höhen ihrer Kultur kennt: den nüchtern wägenden,
selbstsüchtig rechnenden, rücksichtslos sprechenden Verstand.
Ihn haben wir mit allen Mitteln zur Herrschaft und Selbstständigkeit
erzogen und durch ständige Schulung und geradezu
raffiniert ausgeklügelte Trainierung haben wir seine Fähigkeiten
ins Athletenhafte gesteigert. Mögen wir jetzt auch noch so
sehr unter dem bestrickenden Einfluß der großen Erfolge stehen,
die wir damit so offensichtlich auf vielen Gebieten erreicht haben,
es dürfte doch, wenn nicht alle Zeichen trügen, dringend an
der Zeit sein, sich darüber Gedanken zu machen, ob wir uns
nicht zu einer verhängnisvollen Überschätzung der Leistungsfähigkeit
unserer einseitigen Verstandesarbeit haben hinreißen
lassen und ob wir gut daran taten, alle anderen Regungen in
uns zu unterdrücken und zu ersticken, um sie so nach Möglichkeit
aus ihrer Mitarbeit bei unserer Daseiusbeeinflussung auszuschalten
.
Wohl fühlten wir alle ja immer und immer wieder, daß sich
neben unserem verstaudesmäßig geistigen Schaffen noch ein
anderes Agens im Menschen spontan produktiv bemerkbar macht,
das sich impulsiv über die Alleinherrschaft des Verstandes im
menschlichen Leben hinwegsetzt. Wir erfühlten aus mancherlei
unbegreiflichen und befremdlichen Erscheinungen, die jetzt die
okkulte Forschung zu enträtseln bestrebt i»t, sowie auch aus den
staunenswerten Leistungen auf künstlerischem und besonders
dichterischem Gebiet das Wirken und Wallen eines fremden
Geistes, die Aeußerungen einer geheimnisvollen Kraftquelle unbekannter
Herkunft und absoluter Originalität, die dem mechanistischen
Schaffen und mühsamen Arbeiten unseres Gehirns
Hohn spricht und sich in die schwerfällige Art unseres Denkens
und Forschens, in den grobsinnlichen Charakter unseres Wissens
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0475