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454 Psychische Studien. XLV11I. Jahrg. 8. Heft. (August 1921.)
nicht einreihen läßt. Aber unsere festgewurzelten Anschauungen
sollten und durften durch solcherlei Beobachtungen und Empfindungen
nicht beeinflußt, unser Verstand als der uns allein
maßgebende Führer nicht beunruhigt werden, und so erklärte
man die unverständlichen und befremdlichen Erscheinungen leichthin
als Sinnestäuschungen und Zufälligkeiten, die staunenswerten
Leistungen Einzelner als Ausflüsse besonderer Begabungen und
Veranlagung und die Allgemeinheit gab sich beruhigt mit einem
solchen Bescheid zufrieden.
Nur die Philosophie wagte es zeitweise erneut ihre Fühler
auszustrecken gegen diese aus unerforschten Tiefen des Lebens
hervorbrechenden Kraftströme, aber auch sie tat dies unter
möglichster Anwendung der gebräuchlichen und herkömmlichen
Forschungsmethoden, auch sie ging mit dem Rüstzeug der uns
von Jugend auf eingeschulten und eingeübten Verstandestechnik
ans Werk und kam so bei ihren t orschungen meist über das
Bestreben nicht hinaus, aus demselben ein möglichst faßliches,
unseren Anschauungen tunlichst entsprechendes, in unser ganzes
Weltbild passendes Ergebnis zu erzielen Damit verschloß sie
sich dann immer wieder die Tore, aus deren mühsam geöffneten
Spalten sie uns mehrfache Lichtstrahlen wahrhaft göttlicher Erkenntnis
hatte zukommen lassen, Lichtstrahlen, die aber, den
sinnlichen Anforderungen unseres Wissens zuwiderlaufend, leider
unverstanden und ungenützt für die xUlgemeinheit gleich immer
wieder verloren gingen, wie Blitze im Dunkel der Nacht. Sie
sollten und durften uns weder Warner noch Wegweiser werden:
man verwies «de in das Gebiet metaphysischer Spekulationen
ohne praktischen Wert, ohne nutzbare Bedeutung und damit
blieb alles beim alten und unser Wissen und unsere Erkenntnis
auch weiterhin auf die Erfassung und Ausbeute des sinnlich
Wahrnehmbaren und Nachweisbaren beschränkt.
Mit welch6 unendlichen Schwierigkeiten wir bei dieser Art
des Forschens zu kämpfen hatten und wie mühsam und schwerfällig
damit ein Fortschritt für uns zu erzielen war, ist wohl
niemandem besonders aufgefallen, denn wir wußten es nicht
anders und die Gewohnheit ertötete alle widerstrebenden Bedenken
— und doch hätten wir solche haben und geltend machen
sollen! Es hätte uns schon längst befremden müssen, daß wir
als die doch anscheinend zur höchsten Entwicklung bestimmten
Geschöpfe in sinnlicher Beziehung von der Natur weit weniger
sorgsam und wohlmeinend ausgestattet sind, als im allgemeinen
die Geschöpfe des Tierreichs; wir hätten wahrnehmen müssen,
daß wir in Vielem diese unsere Minderbegabung erst durch allerlei
mühsame und zeitraubende Entdeckungen und Erfindungen nach
Möglichkeit ausgleichen mußten, bevor wir Schritt für Schritt in
unserer Erkenntnis und unserem Wissen weiterkommen konnten;
es hätte uns nicht verborgen bleiben dürfen., daß wir auch jetzt
noch in so manchem auf die Hilfe und das Beispiel der uns
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