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XI
man beabsichtigt, ist immer als wesentlich für den Erfolg erkannt
worden, und wer imstande ist, seine Gedanken fest im
Zaume zu halten, der gewinnt gewaltige Überlegenheit über alle,
deren Gedanken leicht zerflattern. Der Yogi übt sich nun systematisch
in der Konzentration und sucht den automatischen Ablauf
des seelischen Geschehens aufzuhalten und nur diejenigen
Inhalte zu lassen, die er haben will. Darin besteht eben die Stillung
der Seele: den Vorstellungen, die uns planlos durch den
Kopf ziehen, wird Einhalt geboten, und »die dadurch ersparten
Kräfte werden anderwärts verwandt. Im ganzen handelt es sich
also um eine Übung und Stärkung des Willens. Das Hauptmittlel
aber zur Übung in der Konzentration und im „Stillehalten" ist
das Meditieren, d. h. das völlige Sich-Vertiefen in einen
Gegenstand oder eine Idee, so lange, bis man völlig mit der
ganzen Seele darin ausgegangen ist. Mit Punkt 3 schließlich ist
eine erhöhte Autosaggestion gemeint: wer sich intensiv einbildet,
er besitze eine ihm innigst erwünschte seelische Eigenschaft, in
dem wird sie tatsächlich auch entstehen. „Man stelle sich nur
lange genug vor, daß gewisse, beim normalen Menseiien uliausgebildete
Organe des Astralkörpers ausgebildet sind, und sie
werden sich entwickeln" (a, a. 0. S. 140).
Graf Keyserling zweitelt keinen Augenblick daran, daß durch
eine derartige rastlose Schulung ein höheres Bewußtsein erzeugt,
okkulte Fähigkeiten erlangt werden können auch bei -solchen
Menschen, die vorher keine mediumistische Begabung in sich
verspürten. Zu diesem rein^subjektiven Erfolge, der Steigerung
und Neubildung von Seelenkräften, tritt der schon angedeutete
objektive: die Erweiterung der Kenntnis des Geistigen. Hier
jedoch setzt Graf Keyserling mit seiner Kritik ein, indem er fragt:
Ist der durch die okkultistische Ausbildung erzielte Fortschritt
wirklich derartig, daß die Theosophie Ethik und Religion ersetzen
kann? Und: Sind wir durch die bessere äußere Kenntnis der
geistigen Phänomene dem inneren Sinne des Geistes näher gekommen
?
Die Erweiterung des Bewußtseins durch den Okkultismus ist
ein rein biologischer Fortschritt, aber kein Fortschritt der „Spi-
ritualisierung". Was ist damit gemeint? „Spiritualisie-
rung bedeutet Selbstverwirklichung ; das Durchdrungenwerden
der Erscheinung durch ihren äußersten Sinn;
ihr Beseeltwerden aus der letzten lebendigen Tiefe — heiße man
diese Atman, Weltseele, Gott, Prinzip des Lebens oder wie sonst"
(a. a. 0. S. 146). Hier haben wir das, was man des Grafen
Keyserlings Philosophie des Sinnes nennen könnte. In jedem
Menschen nämlich ist ein nur ihm eigener „Sinn" verborgen, und
der Mensch hat die Aufgabe, sich in der Richtung dieses Sinnes
zu verwirklichen. Hat er sich selbst so verwirklicht, daß sein
Sinn erfüllt ist, so hat er seine Stufe der Vollendung erreicht
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