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474 Psyohdsohe Studien; XLVIII. Jateg. 9. Heft (September 1921.)
Nachforschungen anzustellen." Der Ehemann dagegen, dessen
rubi|ger und streng sachlicher Bericht überhaupt angenehm berührt
, sagt von dem gleichen Herrn: „Der letztere, sehr liebenswürdig
, bewilligte uns diese Erlaubnis sofort/4 Mit der Hauptangelegenheit
haben solche nebensächlichen Widersprüche ja
nichts zu tun, immerhin aber beweisen sie, daß das Gedächtnis
der Beriehterstatterin kein durchaus zuverlässiges ist. Überhaupt
läßt ihre Darstellung auf eine gewisse Erregtheit schließen, die
allerdings durch den vorhergegangenen schweren Schicksalsschlag
und die nachmalige glückliche Auffindung der Leiche wohl
erklärt erscheint. Immerhin werden wir nioht fehlgreifen, wenn
wir der Dame eine gewisse Impressionabilität zuschreiben und
den Eindruck, den die Visdon auf sie gemacht hat, als einen äußerst
tiefgehenden annehmen. Erfolgte aber «diese, wie wir anzunehmen
geneigt sind, hellseherisch, so erklärt sich ihr Verhalten auf dem
Kirchhof ohne weiteres. Flaiwmarion verwirft zwar in diesem
Falle die Annahme eines Hellgesachtes, weil ein solches nach
seinen Erfahrungen direkt und nicht in solch verschleierter Form
hätte erfolgen müssen, daß erst die Erfüllung des Ferngesdchtes
die Lösung bringen konnte. Dem aber ist nicht beizupflichten.
Zahllose Berichte über Hellsehen und Feragesiehte liegen vor,
in denen nur symbolisch und verschleiert räumlich oder zeitlich
entlegene Vorgänge angedeutet wurden. Und da zudem die einfachere
Annahme eines Hellgesichtes im vorliegenden Fall den
Umständen vollkommen gerecht wird, so liegt keine zwingende
Veranlassung vor, das weit problematischere Eingreifen einer
jenseitigen Intelligenz hier anzunehmen. —
Automatisches Schreiben und „Unterbewußtsein".
Psychologische Studie von Dr. Friedrich \. Wickede.
Wie bekannt, hat man zur Erklärung gewisser seelischer Vorgänge
, die allem Anschein nach unbewußt erfolgen, den hypothetischen
Begriff des „Unterbewußtseins" geprägt. Da die Annahme
schlechthin /unbewußt verlaufender geistiger Prozesse dem psychologischen
Denken widerstrebt, stellte man, um jene anscheinend
unbewußten Vorgänge dennoch als bewußte deuten zu können,
die Theorie des Doppel-Ichs auf, wonach die menschliche Psyche
in zwei getrennte Sphären, ein Oberbewußtsein und ein Unterbewußtsein
, zerfällt, die entweder einander ablösen oder auch
gleichzeitig in Funktion sind. x\lle geistigen Tätigkeiten, die nicht
ins gewöhnliche Bewußtsein fallen, wurden einem zweiten Bewußtsein
in die Schuhe geschoben, das man seiner inferioren
Natur wregen eben als „Unterbewußtsein*4 bezeichnete. Die Theorie
des Doppelbewußtseins, als deren Urheber und Hauptvertreter
Max Dessoir*) «gelten muß, hat zahlreiche Anhänger, aber
*) Das Doppel-Ich. 2. Auflage, Leipzig 1896.
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