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v. Wickede: Automatisches Schreiben und „Unterbewußtsein" 475
auch manche Gegner gefunden. In der Literatur hat sieh Jedenfalls
das „Unterbewußtsein" nach Wort und Begriff vollkommen
eingebürgert: gelehrte wie populäre Schriftsteller gebrauchen den
Ausdnuick mit Vorliebe, ohne sich immer- darüber klar zu sein,
daß sie damit nicht eine feststehende wissenschaftliche Tatsache,
sondern etwas durchaus Hypothetisches bezeichnen.
Nach «meiner Ansicht unterliegt die Annahme eines Doppel-Ichs
und eines Unterbewußtseins berechtigten Zweifeln, Will man mit
der Bezeichnung „Unterbewußtsein" die jeweilig mit minderer
Deutlichkeit im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungen, Gefühle
und Willensakte zusammenfassen, so habe ich dagegen nichts einzuwenden
, hingegen scheint mir die Annahme eines neben dem
normalen Bewußtsein oder unterhalb desselben funktionierenden,
mit eigenem Denken, Fühlen und Wollen ausgestatteten zweiten
Bewußtseins eine äußerst gewagte zu sein, und ich bin der Meinung
, daß es einmal gelingen wird, sämtliche Tatsachen, die für
die Existenz eines solchen Unterbewußtseins zu sprechen scheinen,
anders und besser zu erklären. Für ein Phänomen, das stets in
prominenter Weise als ein unterbewußtes gedeutet wird, hoffe
ich im nachstehenden den Beweis züi erbringen, daß die dabei
zutage tretende Bewußtseinsspaltung nur eine scheinbare ist:
ich meine den bekannten und vielerörterten, häufig als „me-
diumistisch" bezeichneten Vorgang des automatischen Schreibens.
Da ich in der Lage war, dieses merkwürdige Phänomen nicht nur
bei anderen zu beobachten, sondern auch an mir selbst experimentell
zu studieren, so wird man, denke ich, meinen Ausführungen
darüber einiges Gewicht beimessen. Die meisten automatisch
Schreibenden verfallen den landläufigen spiritistischen oder ani-
mistisohen Erklärungen, während die Psychologen von Fach, die
das Phänomen an anderen studieren, wie erwähnt, lediglich mit
der Hypothese des Unterbewußtseins operieren.
In den Besitz der Fähigkeit des automatischen Schreibens bin
ich auf sehr einfache Weise gelangt. Ich habe die mit einem
Bleistift bewaffnete Hand #ufs Papier gesetzt und darauf gewartet,
daß sie von selbst zu schreiben anfinge. Nach stundenlangem
vergeblichen Warten begann sie wirklich zu schreiben, ohne daß ich
sie in Bewegung setzte, und bald kamen sinnvolle und zusammenhängende
Mitteilungen zustande. In den darauffolgenden Wochen
entwickelte sich dann die ,^Schreibmediumschaft4< zur vollen Höhe,
und ich benutzte diesen günstigen Umstand, um das Phänomen
afcifs genaueste zu studieren. Meine Untersuchungen führten mich
dann bald zu dem Ergebnis, das ich hier mitzuteilen beabsichtige.
Die Tatsache, daß die Hand die so eminent zweckmäßige und
komplizierte Belegung des Schreibens ausführt, ohne daß ein
Willensakt des Schreibers dabei vorliegt, die weitere Tatsache,
daß die Gedanken und Mitteilungen, die zu Papier kommen, von
dem Schreiber nicht bewußt gedacht sind — dies vereint ist für
jeden, der es an sich selbst erlebt, zunächst so seltsam und um-
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