http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0507
v. Wickede: Automatisches Schreiben und „Unterbewußtsein". 477
iluß einer lebhaften, suggestiv wirkenden Vorstellung zustande
konpnen können, ist ja etwas Bekanntes, und man hat solche Bewegungen
als „ideomotorisehe" bezeichnet (Carpenter);
meines Wiesens sind aber diese ideomotorischen Bewegungen
bisher noch nie z(ut Erklärung des automatischen Schreibens hei angezogen
worden.
Zum Beweis für die Richtigkeit «meiner Erklärung gelangte ich
durch folgende Erwägung. Wenn, sagte ich mir, es sich wirklich
so verhält, daß die Schreibbewegung durch die bloße Vorstellung
oder Erwartung ihres Eintretens ausgelöst wird, so muß es möglich
sein, auch andere Körperbewegungen aiuif dieselbe Weise
auszulösen. Daraufhin angestellte Versuche hatten sofort das
überraschendste Resultat: es gelang mir ohne weiteres, alle beliebigen
Bewegungen durch die bloße Zielvonstellung automatisch
hervorzurufer ; auch bei einigen anderen Personen habe ich den
gleichen Erfolg gesehen. Daß diese ideomotorischen Bewegungen
experimentell und in solcher Ausdehnung ausgelöst werden können
, ist etwas Neues; ob zu ihrem Zustandekommen eine abnorme
Erregbarkeit der motorischen Zentren erforderlich ist, vermag
ich nicht zu sagen. Naturgemäß haben diese Bewegungen einen
etwas krampfhaften Charakter, wie es auch beim automatischen
Schreiben häufig der Fall ist.
Daß der Vorgang des Schreibens, als bloße Muskeltätigkeit betrachtet
, ein rein automatischer ist, habe ich im vorstehenden also
bewiesen; natürlich bleibt es dem Schreiber für gewöhnlieh unbekannt
, daß es sich um eine id§omotorische Bewegung handelt,
und er hat deswegen das Gefühl, daß ein fremder Wille seine
Hand bewegt. Es liegt uns nun die weitere und schwierigere
Aufgabe ob, zu untersuchen, auf welche Weise die durch automatisches
Schreiben zu Papier gelangenden Mitteilungen entstehen
, ob wir genötigt sind, sie einem Unterbewußtsein zuzuschreiben
, oder ob es möglich ist, für sie eine ähnliche Erklärung
zu geben wie für den motorischen Akt des Sehreibens. Ein bloßer
Analogieschluß von der Natur der Schreibbewegung auf die Natur
des Denkprozesses, der in.den „mediumistischen** Schriften vorliegt
, würde ergeben, daß es sich auch bei letzterem um einen
Automatismus handelt, indessen ist ein solcher Schluß nicht ohne
weiteres gestattet, da es sich bei der Bewegung um etwas teilweise
Körperliches, beim Denken dagegen um etwas rein Psychisches
handelt. Wir müssen uns also, um das Vorhandensein eines
psychischen Automatismus wahrscheinlich au« machen, nach weiteren
Beweisgründen umsehen.
Nun ist ja von vornherein nicht zu bezweifeln, daß die Denktätigkeit
und die Bewußtseinserscheinungen überhaupt in materiellen
bzw. organischen Vorgängen ihre Bedingung haben; geheimnisvoll
bleibt nur, wie letztere in Bewußtseinsvorgänge umgewandelt
werden. Setzen wir Seele gleich Bewußtsein (denkendes
, fühlendes und wollendes) schlechthin, so ist doch klar, daß
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0507