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v. Wickede: Automatisches Schreiben und „Unterbewußtsein/4 479
Wie ist nun «dieser Sachverhalt zu erklären? Soll man das
„Unterbewußtsein" für den Verfasser der automatischen Schriften
* halten und annehmen, daß dieses neben erhöhter Intelligenz
logische und moralische Defekte aufweist? Weit wahrscheinlicher
ist, meine ich, die Erklärung, daß bei dieser Art geistiger Produktion
eine rein assoziative Verbindung von Gedanken stattfindet
. Der Schreiber stellt irgendeine Frage, die beantwortet,
oder gibt ein Thema auf, das behandelt werden soll; er enthält
sich aber des eigenen Nachdenkens über den betreffenden Gegenstand
und läßt „es" denken, d. h. er setzt die Assoziationsmaschine
nach irgendeiner Richtung hin in Bewegfuoig, was nun ein rein
automatisches Abrollen einer Gedamkenreihe zur Folge hat. Während
bei gewöhnlicher geistiger Arbeit das kritische Bewußtsein
fortwährend kontrollierend und hemmend in den Gedankenverlauf
eingreift, die sich anbietenden Vorstellungen erst auf ihre Brauchbarkeit
im logischen Zusammenhange prüft, sie somit entweder
behält oder zurückweist und das Behaltene in neuer Synthese zusammenfügt
, fällt diese aktive, kritische fiind verknüpfende Tätigkeit
des Geistes beilm automatischen Schreiben gänzlich fort.
Der ungehemmte, reinmechanische Gedankenablauf, der dabei
stattfindet, fördert mit großer Leichtigkeit alle Vorstellungen, die
auf irgendeinen bestimmten Gegenstand näheren oder entfernteren
Bezug haben, aus dem latenten Bewußtseinsinhalt des
Schreibers zutage und läßt sie in unaluifhaltsamem Fluß, aber auch
in plan« und regelloser VerKnüpfung auf dem Papier erscheinen.
So erklärt sich nicht bloß der Gedankenreichtum und die gewandte
sprachliche Form der mediumistischen Schriften, sondern
auch der Mangel an Kritik und die gänzliche Skrupellosigkeit in
Hinsicht auf innere Wahrscheinlichkeit und inneren Zusammenhang
. Wir haben hier eben nicht etwas mehr oder minder mühsam
Erarbeitetes, sondern etwas von selbst Entstehendes vor uns.
Die Gedanken strömen ungehemmt auf das Papier, der Stil hat
einen frischen und flotten Zug, weil die Selbstkritik und Nörgelei
am Ausdruck aufhört, und so erklärt es sich leicht, wenn die Elaborate
der Schreibmedien oft den Anschein einer Erhöhung der
Intelligenz erwecken. Anderseits hat das Nichtmitwirken der
apperzeptiven und synthetischen Einheit des Bewußtseins oder
Ichs zur Folge, daß die Verbindung der Vorstellungen eine nicht
innerlich vernünftige, sondern rein äußerliche ist. Die Denktätigkeit
beim automatischen Schreiben hat den Charakter der Unper-
sönlichkeit und Subjektlosigkeit, da kein vernünftiges, einheit-
stiftendes Ich in den Ablauf der Assoziationen eingreift und sich
zum Mittelpunkt des geistigen Geschehens macht So erklärt sich
auch die Sophisterei und Phantasterei, die so oft in «mediuimisti-
sehen Schriften vorherrscht: da eine im Bewußtsein sich lebhaft
geltend machende Idee von dem automatisch arbeitenden Vorstellungsapparat
bis in die äußersten Konsequenzen verfolgt wird,
so kommt es, wenn der Vorrat an konkretem Gedankenmaterial
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