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Ludwig: Ein gutbeglaubigter Wahrtraum.
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matischen Schreiben gelangt dieser für gewöhnlich im verborgenen
bleibende geistige Prozeß zur objektiven Darstellung, und
hierauf beruht die Bedeutung dieses Phänomens für die wissenschaftliche
Psychologie.
lin gutbeglaubigter Wahrtraum.
Von Hochschulprofessor Dr. Ludwig, Freising.
Ein authentischer Fall, bei dem es sich um zeitliches Hellsehen
im Traume handelt, sei hier der öffentlichen Prüfung unterbreitet.
Der hochgebildete, mit dem Doktortitel ausgezeichnete Abt eines
angesehenen süddeutschen Klosters übergab mir diesen Fall „zur
beliebigen Verwertung4', nur soll kein Personen- und Ortsname
bekannt gemacht werden. Die Namen sind aber mir sämtlich
genannt worden. Eine barmherzige Schwester N. (geb. 1871) aus
dem Orden des St. Vincenz von Paul, Operationsschwester in
einem größeren Krankenhaus, hatte Ende November 1917 folgenden
Traum: Sie sieht ihren Vater im Bett liegen Da naht sich
auf einmal ein Mann mittlerer Größe, mit schwarzen Haaren, von
ganz eigenartigem Aussehen, geht aufs ßett zu, packt den Vater
beim Kopf und bearbeitet ihn schrecklich. Der Vater ruft; 0 Kind,
o Kind, hilf mir doch, hilf mir, Kind! Im Traum rief die Schwester:
0 mein Vater, wenn ich nur helfen könnte! Dann wollte sie sich
erheben, kam aber vor x\ngst nicht in die Höhe. Nun weinte sie
im Traum bitterlieh. Ihre Bettnachbarin, Schwester A,, hörte sie
weinen und befragte sie am anderen Morgen darüber. Schwester
N. erzählte ihren Traum mit dem Beifügen: „Wie froh bin ich doch,
daß mein Vater im Krankenhaus zu 0. untergebracht ist. In
einer einsamen Wohnung wäre so etwas leichter »möglich." Außer
dieser Schwerter erzählte Schwester N. ihren schrecklichen Traum
noch der Oberin und dem Stadtkaplan F. —- Am Sonntag, den
9. Dezember 1917, wurde abends %9 Uhr ins Krankenhaus zu 0.,
wo der Vater der Schwester N. untergebracht war, ein Mann eingeliefert
, der einen Tobsuchtsanfall hatte. Er wrar im Feld einmal
verschüttet worden und litt seitdem an Nervenzerrüttung und Tobsuchtsanfällen
. Eine Zeitlang in M. interniert, wurde er von dort
als gemeingefährlich entlassen. Sehr gefürchtet, diente er dann
als Tagelöhner. Am Sonnlag, den 9. Dezember 1917, machte er
in der Kirche Lärm und tobte den ganzen Tag hindurch, bis er
abends ins Krankenhaus zu 0. eingeliefert wurde. Des anderen
Tages, Montajg, den 10. Dezember, H6 Uhr früh, drang er ins
Zimmer, wo der Vater von Schwester N. lag, ein und zerschlug
ihm die Hirnschale, was den sofortigen Tod des Unglücklichen
zur Folge hatte. Der Geistliche von O. sah den Getöteten, wie der
Tobsüchtige ihn zugerichtet hatte. Schwester N. bat von einer
gerichtlichen Untersuchung abzusehen, um die Krankenschwestern
nicht in die Verhandlungen zu bringen. Den gleichen Rat hatte
auch der Anstaltsarzt gegeben. Auf die Uebereinstimmumg
zwischen Traum und Wirklichkeit wurde Schwester N. nach Ein-
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