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494 Psychische Studien; XLVIII. Jahrg. 9. Heft (September 1021.)
nehmungsvermögens zu richten hat. Dazu idient als eine Art von
Scheuklappenvorrichtung ein eindimensionaler, gerader Schlitz,
der im Vergleiche zur Linie lang ist, und mit dieser in der
gleichen, zweidimensionalen Ebene liegen soll. Da dieser Schlitz,
wenn er in Winkelstellungen zu bevorzugten Richtungen bewegt
wird, an geometrischen Gebilden zeitlich verlaufende Veränderungen
hervorruft, sei er gelegentlich auch „Zeitmaschine*4 genannt
. Wenn mm dieser Schlitz in Ruhelage mit der geraden
Linie einen rechten Winkel bildet, so erscheint zunächst ein
Einzelpunkt aus dem Massenverband der Punktindividuen herausgerissen
. In räumlicher Hinsicht zwar sind die zwei Nachbarpunkte
, obwohl nicht sichtbar, doch als beliebig nahe zu denken.
Dagegen ist jetzt plötzlich auch ein Zeitabstand, und überdies
noch ein unendlich großer, zum Nachbarpunkt aufgetaucht Bis
dieser in das Gesichtsfeld kommen wird, kann der Perpendikel
einer Uhr, bei feststehender „Zeitmaschine" eine unbegrenzt
große x\nzahl von Schwingungen vollziehen. Eine Ewigkeitskluft
gähnt also zunächst in zeitlicher Hinsicht zwischen den Nachbarpunkten
. Erst wenn der Schlitz rechtwinklig zur geradeu
Linie in Bewegung gesetzt wird, beginnen diese Zeitabstände
sich zu verkleinern. Die Linie, aus der jetzt jede Zeiteinheitlichkeit
verschwunden ist,, verwandelt sich nunmehr in eine wandernde
Reihe von Einzelpunkten, die aus einer unbekannten Zukunft
her in meinem Bewußtsein auftauchen und alsbald wieder
in die Vergangenheit hinabsinken. Soll dann das zeitliche Entstehen
und Vergehen wieder aus dem Verhalten der Linie verschwinden
, so muß man den wandernden Schlitz in der zweidimensionalen
Ebene so drehen, daß er mit der Linie keinen
Winkel mehr bildet. In mir wird aber auch schon eine Ahnung
davon wrach, daß alle mit der Zeitvorstellung verbundenen Veränderungen
nicht der Welt «selbst, sondern m.eiuer besonderen
Art, sie zu betrachten, angehören
könnten. In einer geradlinigen Welt braucht man also die
zweidimensionale Ebene gar nicht zu verlassen, um je nach Belieben
Entstehen und Vergehen, Zukunft und Vergangenheit in
diese „Welt" hineinzubringen oder aus ihr verschwinden zu lassen.
Es genügt dazu ein einfacher Kunstgriff: eine wagrechte Winkeldrehung
bei der Betrachtung.
Die rechtwinklige Anordnung des eindimensionalen Schlitzes
gibt aber noch einen geheimen Sinn zu kosten, wie er den Mathematiker
erbauen wird. Dieser vermag nämlich auch einer imaginären
Größe, die weder positiv noch negativ ist, noch eine gewisse
anschauliche Bedeutung zu verleihen, indem er sie graphisch
als eine Strecke abmißt, die auf einer zur Richtung der reellen
Größe senkrechten Richtung beruht. Wird die Strecke + a im
Nullpunkte 0 um 180 0 gedreht, so entsteht durch negative Multiplikation
ein negatives Ebenbild —a derselben. Erfolgt die
Drehung im Nullpunkt aber nur um 90 °, so kommt nur eine ima-
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