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518 Psychische Studien; XLVIII. Jahrg. 9. Hielt. (September 1921.)
schlug, daß sogar Blut floß. Über diesen Trauim war sie sehr
ängstlich, und sie schrieb sogleich einen Brief an ihre Mutter, in
dem* sie ihren Traiuin schilderte und die Mutter bat, den Vater
zu bestimmen, den Bruder in eine auswärtige Lehrstelle zu
bringen.
Mit diesem Brief zugleich erhielt die Mutter zwei andere Briefe
der beiden Schwestern der Frau B. Dieselben hatten genau
den gleichen Traum gehabt, schilderten ibn und
baten wie Frau B. darum, der Vater möge den Bruder nach
auswärts verbringen.
Daraufhin wagte es die Mutter, mit ihrem Gatten zu sprechen
und es gelang ihr, den gemeinsamen Wunsch der drei Schwestern
in Erfüllung zu bringen.
Einen Kommentar dieses Traumes kann ich mir in Rücksicht auf
meine obigen Ausführungen ersparen. Die gleichartig orientierte
Funktion des Unterbewußtseins geht aus ihm deutlich hervor.
Heidnisch-antike Wahrsagung zu Luthers Zeiten.
Von Dr. Rudolf Bernoulli, Berlin-Friedenau.
Zu allen Zeiten hat in solohen Fällen, wo scheinbar unüberwindliche
Schwierigkeiten jedes Weiterkommen iunmöglich
machen, die menschliche Natur zum Auskunftsmittel der Magie
gegriffen. Tn ihrem Innersten lebte stets und immer wieder die
Überzeugung, daß etwas wie eine Beherrschung des Schicksals,
oder doch zum mindesten eine Erforschung seiner Absichten
existieren müsse. Das ist die allgemein menschliche Grundlage
der okkultistischen Praktik aller Zeiten.
Die Form, in der sich diese Auffassung in der Reformationszeit
ausgelebt hat, ist in ihrer ganzen Tiefe abhängig vom Dämonen-
und Götterglauben des Altertums. Dies nachzuweisen, ist der
Zweck der Schrift von A. Wa«r bürg*): „Heidnisch-antike Wahrsagung
in Wort und Bild zu Luthers Zeiten." Auf Schritt und Tritt
zeigt sich, wie die antiken Elemente kritiklos als feste Dogmen
übernommen werden, wie sie aber dann instinktiv in ein vertrauteres
Gewand gekleidet werden, ohne in ihrem Wesen etwas
von ihrer alten Eigenart einzubüßen.
Es ist nun klar, daß alle Zeitgenossen, denen die Empfindung
für die Existenz magischer Tatsächlichkeiten fehlte, die zudem
eine durchsichtige Logik in der okkultistisch-mantisehen Praxis
vermißten, sich außerordentlich ablehnend gegen diese ganze
Richtung verhielten. Gelegentlich richtig eingetroffene Prophezeiungen
störten sie nicht in dieser Auffassung. Um so mehr
wiesen sie auf die große Zahl der Fehlprophezeiungen hin, insbesondere
auf jene nicht eingetroffene Sündflut vom Jahre 1524
*) 26, Abhandlung der Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften, Philosophisch-historische Ktesse, Jahrgang 1919*
M. 12.80.
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