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520 Psychische Studien; XL VIII. Jahrg. 9. Heft (September 1921.)
gelegentlich Künstler von Rang sieh dieser Aufgabe unterzogen.
Erinnern wir uns doch, «daß Dürer seine Holzschnittfolgen auf dem
öffentlichen Markte von seiner Frau feilbieten ließ, daß er also
durchaus nicht glaubte, etwas Besseres zu machen, als Kunst fürs
Volk. Diese seine Auffassung zeigt sich auch «darin, daß er durchaus
in das Fahrwasser der gelehrten Astrologie geriet. Sein
Hauptwerk in dieser Richtung, die Melancholie, ist ein typisches
Beispiel dafür. Dem Sinne nach »gliedert sie sich den Saturndarstellungen
der früheren Zeit durchaus an. Der Form nach
bildet sie einen völlig neuen Typus. Wie die italienischen
Künstler der vorausgehenden Generation, hat Dürer den ganzen
Gedankengehalt in einer Gestalt zusammengefaßt, und hat die
Tätigkeit, die Eigenschaften der Saturnkinder, das heißt der Mensehen
, die im Zeichen des Saturn geboren sind, nicht wie das
früher üblich war, durch ebenso viele in der Tätigkeit begriffene
menschliche Figuren dargestellt. Dadurch kommt eine selten
große und eine unmittelbar geistige Wirkung zustande. Dürer
steht damit am Wendepunkt zweier Zeiten. Geistig noch völlig
im Bann der alten astrologischen Weltaaffassung, weist seine
Form hinaus auf die neue Zeit der völligen Befreiung von der
alten mittelalterlichen Tradition der Form. Wie kaum ein anderer
geht Dürer immer wieder auf das zurück, was die Natur ihm
bietet. Seine eigenen Eindrücke sind ihm wesentlicher, als
irgendwelche überlieferten Formentypen. Diese Selbständigkeit
der Auffassung wirkt aber wiederum zurück auf die astrologische
Gnundauffassung des saturnischen Temperaments. Aus dem
bösen Kinder fressenden Dämon, der schicksalhaft das Wesen der
in seinem Zeichen Geborenen bestimmt, ist ein selbsttätiges
Wesen geworden, das zugleich den im Zeichen des Saturn geborenen
Menschen und den ihn regierenden Dämon charakterisiert
. Und als Projektion der möglichen Tätigkeiten dieses satur-
nisehen Menschen werden die Geräte, deren er sich dazu zu
bedienen hat, zu eindrückliche m Stilleben zusammengestellt, um
ihn hemimgruppiert, und nicht sie allein, sondern auch der unmittelbare
Ausdruck seiner geistigen und körperlichen Eigenschaften
verkörpern das Wesen seines melancholischen Temperaments
. Dabei kommt aber auch die Auffassung^zum Durchbruch,
daß seine Wirkung nicht einen unbedingt schädlichen Einfluß ausüben
muß. Saturn ist nicht mehr der nur böse Dämon; er zeigt
sich als Mensch mit Licht- und Schattenseiten. Daß Dürer mit so
großer Liebe gerade dieses Blatt durchgeführt hat, liegt wohl
darin, daß er selbst sich als Kind des Saturn empfand, und darum
gelang ihm auch diese große Zusammenfügung alles dessen, was
in seiner Zeit als Problem des Geistes und der Form einer Lösung
harrte.
Die endgültige Erklärung und Deutung von Dürers Melancholie
bildet den Schlußstein zu den vorangehenden Untersuchungen
Warburgs. Es zeigt aber auch, wie wichtig gerade jene Forschung
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