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536 Psychische Studien. XLVIH. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1921.)
nähme um 9 Uhr vormittags), sondern begannen meist
zwischen 5 Uhr und 9 Uhr abends, bei dem Schein einer
über dem Tisch hängenden elektrischen Lampe und verstärkten
sich in der Dunkelheit, um dann bei Tagesanbruch
zu verschwinden. Je näher der Abend kam, um so unruhiger
wurde die Patientin, während der Phänomene selbst wurden
große motorische Unruhe und Schmerzensäußerungen bei
ihr konstatiert, ohne daß jedoch heftigere Bewegungen eitler
ein Aufstehen aus dem Bett beobachtet worden wären. —
Der im Zimmer befindliche Hund zeigte während der Erscheinungen
ein auffallend gedrücktes Benehmen. Die Uhr
blieb dauernd stehen, obwohl der Hausherr seibst Uhrmacher
war und keinen Fehler in dem Werk finden konnte.
Die Klopfgeräusche wurden beschrieben, wie wenn mit
den Fingerknöcheln oder mit der Faust aufgeschlagen würde.
Die akustischen Phänomene wanderten im Zimmer herum,
blieben also niemals an einer Stelle konstant. Mitunter wurde
das Klopfen auch gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen
gehört. Man unterließ es, durch diese Töne eine Korrespondenz
mit der intelligenten Ursache der Erscheinungen
herzustellen, wie es z. B. in den spiritistischen Zirkeln üblich
ist, ebenso wurde nicht an eine Einwirkung Verstorbener
gedacht. Nach den Aussagen des Ehemanns der Frau Sauerbrey
und ihrer Tochter Frieda, die während der ganzen in Frage
kommenden Zeit mit der Patientin zusammen gewesen ist, erscheint
es ausgeschlossen, daß die schwerkranke Frau Sauerbrey
die Geräusche und Bewegungen der Gegenstände selbst
hervorgerufen hat, da sie vor Schwäche sich selbst kaum
bewegen konnte.
Der Ehemann Sauerbrey, der in dem Räume neben
der Küche schlief, wurde zum ersten Male am 12. Februar
nachts durch seine Frau auf das Klopfen aufmerksam gemacht
, stand auf, machte Licht, ging in die Küche, durchsuchte
alles, ohne irgend etwas Auffälliges zu finden. Sobald
der Raum beleuchtet war, hörte das Klopfen auf. Sauerbrey
legte sich nieder. Nach 5 Minuten waren die Klopfgeräusche
wieder vernehmbar, und zwar viel heftiger als
zuvor. Sauerbrey bezeugt auch ausdrücklich, daß seine Frau
sich in der Küche ganz ruhig verhielt. Er weckte dann seine
Stieftochter, Frieda Pappe, die den Rest der Nacht
wachend zubrachte, und ebenfalls in Abrede stellt, daß die
Geräusche von ihrer Mutter inszeniert worden seien. Von
da an setzten sich diese Spukerscheinungen täglich fort,
das Klopfen dauerte in der Regel von 6 Uhr abends bis
7 Uhr morgens.
Auch der Schneider Walter Degenkolbe, der in der
fraglichen Zeit einmal im Hause übernachtete, hörte nachts
die Klopfgeräusche in den Möbelstücken, an den Wänden und
an der Zimmertüre. Er steht ebenfalls auf dem Standpunkt,
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