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538 Psychische Studien XL VIII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1921.)
Angaben dieser^Zeugen. Leider erfuhr ich die Vorgänge erst,
als sie vorbei waren."
Die durch den Spuk erschreckten Hausbewohner wandten
sich an die Polizei in Weimar. Dieselbe erschien am 27. Februar
, 8 Mann stark, unter Führung des Polizeikommissärs
Pfeil, der wegen Erkrankung vor dem Schöffengericht nicht
vernommen werden konnte und seinen amtlichen Bericht in
schriftlicher Form dem Vorsitzenden Oberamtsrichter Justizrat
Thierbach zukommen ließ. Es heißt in dem Polizeibericht:
„Das Haus wurde umstellt, Hausboden, Stube und Küche
besetzt, um den vermeintlichen Unruhstifter zu ermitteln.
Aber die Verhältnisse waren so wie geschildert."
Ergänzende Aussage des Polizeikommissärs Pfeil: „Ein
Schutzmann stellte einen leeren Wassereimer zwei Meter von
der Frau entfernt auf: schon beim Umdrehen bewegte sich
dieser Eimer. Ebenso ging es bei einer Waschschüssel. Die
Geräusche waren mitunter so, wie wenn mit einer Handfläche
über Gegenstände gestrichen wurde." Der Oberamtsrichter
fügt hinzu: „Dieselben Wahrnehmungen sind von
10—12 Polizeibeamten, die von Pfeil an drei Tagen nacheinander
hinausgeschickt wurden, beobachtet worden. Sie haben
alles entweder durch die offene Küchentüre oder durch das
Schlüsselloch gesehen."
Die Zeugen Sauerbrey und Frieda Pappe bestätigten in
ihrer eidlichen Vernehmung die Richtigkeit der Beobachtungen
durch die Polizeibeamten.
Am 28. Februar befreite der Nervenarzt Dr. Kahle aus
Weimar durch Gegensuggestion Frau Sauerbrey aus ihrem
Bann, indem er ihr einredete, seine Einwirkung sei stärker
als diejenige ihres Stiefsohnes. Nach seinem Gutachten litt
die Patientin an nervöser Willensschwäche, wodurch die
suggestiven Manipulationen der Angeklagten ganz ohne
Rücksicht darauf, ob die Absicht einer Hypnotisierung bestand
, oder nur der Wunsch die Krankheitssymptome zu
beeinflussen — besonders wirksam gestaltet wurden. Jedenfalls
bot die autosuggestive Veranlassung des Versuchsobjekts
, der Glaube an eine besondere Kraft und Willensstärke
des Stiefsohnes einen günstigen Boflen zur Entwicklung
des Dämmerzustandes. Der Einwirkung des Dr. Kahle
gelang es, Frau S. aus dem Bann zu erwecken, in «dem
sie sich seit dem 12. Februar befand. Sie rief aus: „Ich bin
jetzt erlöst!" Von diesem Augenblick an hörten die Spukerscheinungen
auf und kehrten auch nicht mehr zurück.
Obwohl der Staatsanwalt für den Angeklagten Ernst Sauerbrey
eine Gefängnisstrafe von drei Wochen wegen fahrlässiger
Körperverletzung beantragte, wurde derselbe in der
Verhandlung vor dem Schöffengericht in Vieselbach am
19. April 1921 freigesprochen. Frau Sauerbrey erlag am
27. März 1921 ihrem Unterleibsleiden.
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