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542 Psychische Studien. XLVIIL Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1921.)
Auf Befragen des Sachverständigen Dr. Kahle:
Ich habe keine Person in Gegenwart meiner Stiefmutter
hypnotisiert und meine Stiefmutter ist auch nicht bei der
Schaustellung zugegen gewesen, wo ich in Hopfgarten hypnotische
Versuche vorgenommen habe.
Hierauf wurden die Zeugen einzeln vorgerufen und in
Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen wie folgt vernommen
:
1. Zeuge Dr. Scharf f:
Zur Person: Reinhold Scharff, 32 Jahre alt, evang., prakt
Arzt in Vieselbach, mit dem Angeklagten nicht verwandt und
nicht verschwägert.
Nach Leistung des Zeugeneide?:
Zur Sache: Ich habe Frau Sauerbrev vom 9. Februar oder
März bis zum 27. März behandelt. Eines Tages wurde ich
zu ihr gerufen. Man erzählte mir von den Vermutungen, daß
der Angeklagte seine Stiefmutter hypnotisiert habe, und daß
sie seit diesem Tage sehr aufgeregt sei. Ich hielt diesen Zustand
aber nur für eine vorübergehende Störung, die sich
bald wieder von allein legen würde. Frau Sauerbrey litt
an nervösen Unruhen und an einem unheilbaren Unterleibsleiden
. Auf das Leiden der Frau Sauerbrey hat m E. der
angebliche hypnotische Zustand keinen Einfluß ausgeübt,
und mithin ist auch keine organische Verschlimmerung des
Leidens eingetreten.
Auf Befragen des Sachverständigen Dr. Kahle:
Ich haJte für ausgeschlossen, daß sich etwa infolge von Anstrengungen
(Tischrücken, Stuhlrücken usw.) der Zustand
verschlimmert hat. Ich halte auch eine Hypnose für ausgeschlossen
. Frau Sauerbrey war durch ihr Leiden so schwer
erschöpft und psychisch sehr labil, so daß ich mir nicht
denken kann, daß sie irgend welche körperliche Anstrengungen
hat machen können. (Klopfen an den Wänden,
Türen, Rücken von Tisch und Stuhl usw.) Geistig war sie
viel zu wenig tätig, um klar denken zu können. Sie lag zu
Bett, konnte infolge ihres körperlich schwachen Zustandes
nicht gehen und ist, so viel ich weiß, auch nicht aus dem
Bett gekommen. Ihre Krankheit hat sich langsam chronisch
entwickelt.
Ich habe mit Frau Sauerbrey gesprochen, sie hat mir aber
nicht gesagt, daß sie der Angeklagte hypnotisiert hätte.
2. Zeuge Sauerbrey:
Zur Person: Ernst Sauerbrey, 53 Jahre, Uhrmacher in
Hopfgarten, Vater des Angeklagten.
Unter vorläufiger Aussetzung der Beeidigung:
Zur Sache: So viel ich weiß, ist der Angeklagte dreimal
bei uns gewesen. Er hat mit meiner Frau gesprochen, ob
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