http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0607
Freimark: Die Durchforschung der Fälle. 577
weil, um ein Beispiel anzuführen, auch eine erdichtete Ahnung
psychologisch echt ist, sondern forschen den Umständen nach,
unter denen sie zu Tage treten. Dabei können wir die Suche
nach dem Agenten, die zur Zeit nahezu als ausschließliche
Aufgabe betrachtet wird und die doch wie nichts anderes geeignet
ist, das Problem zu verwirren, vorerst gänzlich unterlassen
. Für unsere Träume suchen wir ja auch nicht nach
ihrem Absender, obwohl eine ganze Reihe von Erfahrungen anzudeuten
scheinen, daß gewisse Traumvorkommnisse auf Reize
zurückgehen, die außerhalb des träumenden Individuums liegen
und in einer von ihr unterschiedenen Persönlichkeit entstanden
sind. Dennoch fassen wir beim Traume zunächst nicht
derartige Möglichkeiten ins Auge, suchen vielmehr hinter seine
Bedeutung für uns zu kommen.
Dieser Weg empfiehlt .sich auch für den Tatsachenkreis,
der von der Ahnung bis zum gespenstigen Auftauchen eines -
Abgeschiedenen reicht. Wie uns kein Traum zuteil wird, wofür
nicht ein Keim in uns Itegt, dämmert niemandem eine Ahnung
auf, wird keiner zum Seher, der nicht innerlich reif dafür ist.
Die Umstände dieses Reifseins, des Bereitseins für Wahrnehmungen
, die von dep gewöhnlichen abweichen, müssen erforscht
werden, bevor an die Frage herangetreten wird, wer
etwa der Entsender der auslösenden Reize ist. Die Verknüpfung,
die zwischen einer Ahnung und ihrer nachfolgenden Verwirklichung
, zwischen der Erscheinung eines Sterbenden und seinem
gleichzeitigen Heimgange, zwischen dem Auftauchen eines Gespenstes
und gewissen nachträglich zur bewußten Erfahrung
gebrachten Umständen zu bestehen scheint, darf uns nicht verleiten
, nun eine solche als unmittelbar gegeben anzunehmen.
Denn dieser Annahme steht ein Bedenken entgegen, das gewiß
nicht dadurch an Wert verliert, daß es nur selten von den
Wahrnehmenden angestellt wird. Die Wahrnehmenden sind
meistens sehr erpicht darauf, die Wirklichkeitssphäre, in der
sich die Wahrnehmung abspielt, der gewöhnlichen Wirklichkeit
gleichzusetzen. Sie schieben deshalb alle Umstände, die ihre
Absicht vereiteln könnten, beiseite oder suchen sie zum mindesten
in ihrer Bedeutung für das Zustandekommen der absonderlichen
Wahrnehmung zu verkleinern. Ein solches Verfahren ist selbstverständlich
nicht geeignet, den Tatsachenknäul, den derartige
Erlebnisse bilden, zu entwirren* Treten wir jedoch an
deren Untersuchung wie an die eines Traumes heran, so belassen
wir sie samt allen Begleiterscheinungen in ihrer eigentümlichen
Sphäre und haben nicht nötig, ihnen um irgendwelcher
Gründe willen, die einer ganz anderen, nämlich der alltäglichen
Wirklichkeit angehören, Gewalt anzutun. Wir werden also
nicht, wie dies sonst der Fall ist, bestrebt sein, die Form der
Wahrnehmung dem vermeintlichen verursachenden Reiz zuzuschieben
, sondern sofort darüber im Klaren sein, daß die
auslösende Ursache nur sehr mittelbar in der Wahrnehmung
37
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1921/0607