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582 Psychische Studien. XLVIH. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1921.)
Nostradamus sie in vierzeilige Strophen brachte, noch mystischer
ynd unverständlicher, und zudem soll der Seher die
chronologisch geordneten Vierzeiler dann noch absichtlich
durcheinandergemischt und dadurch ihren Sinn völlig verdunkelt
haben. Sein Satzbau ist oft dem Lateinischen entlehnt
, er hat zahlreiche fremdsprachige Brocken aus dem
Lateinischen, Griechischen, Hebräischen und Spanischen verwendet
und hat eine Vorliebe für dunkle Bilder aus der
Mythologie, wie auch insbesondere füi Wortumstellungen
und Anagramme, die dem Scharfsinn der Interpreten manche
harte Nuß zum Knacken geben. Einfach sind noch Umstellungen
wie Rapis für Paris, Lectolyie für Celtolvre
(=-- Keltenland) usw. Anfechtbar sind schon Deutungen von
Wortbildern, wie Temple für Frankreich, oder „tele razee
für — Napoleon I.: im Gegensatz zu den legitimen französischen
Königen soll Nost radamus hiermit den kurzgeschorenen
Korsen kennzeichnen; und „nepveu" -= neveu
bezeichnet dann den Neffen, Napoleon III. „So reiht sich
in den Zenturien des Nostradamus ein Rebus an das andere.47
sagt der neueste Interpret C. Loog.*)
Loog will nun den Schlüssel zu dem System gefunden
haben, nach welchem Nostradamus seine Vierzeiler durcheinandergewürfelt
haben soll, um deren Verständnis zu erschweren
. Leider unterläßt er es, das Schlüsselwort selbst
mitzuteilen, ebenso wie er auch die angeblich richtige chronologische
Reihenfolge, die sich danach ergeben hat, nicht
veröffentlicht hat so daß eine genauere Nachprüfung nicht
möglich ist, und beispielsweise nicht festgestellt werden
kann, ob die Vierzeiler, die aus irgendwelchen Anhaltspunkten
datierbar sind — z. B. der Quatrain VI: 87, der auf
das Jahr 1848 deutet — in der Loogschen Entschlüsselung
am richtigen Platze stehen. So ist mir u. a. aufgefallen,
daß Loog den Quatrain X, 6, der von einer katastrophalen
JJeberschwernmung der Stadt Nimes handelt, in die Zukunft
\erlegt, während Pilo liet eingehend untersucht hat, inwieweit
er etwa auf bisherige Ueberschwemmungen von
Nimes (1557) paßt.*) Pitoll et spricht sich für ein vatici-
nium post eventum bzw. für eine aus der Zeittradition geborene
naheliegende Kombination aus.
Loogs Ausführungen erinnern stark an die philologische
Kabbalistik der Baconisten, d. h. der Verkünder jener Theorie,
wonach Francis Bacon von Verulam der Verfasser der
Shakespearedramen sein soll — eine Theorie, zu der er
sich selbst bekennt, und die ihn, wie er sagt, zu der Ent-
*) Loog, Die Weissagungen des Nostradamus. Erstmalige Auffindung
des Chiffreschlüssels. 3. Aufl. Pfullingen 1921.
**) Pitollet, Nimes et Nostradamus. „Revue des Langues Romanes4,
Montpellier 1914, S. 234 ff.
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