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Kindborg: Der Streit um die Telepathie. 595
kann. Wer aber auf psychologische Versuche mit Menschen
angewiesen ist, ist von deren gutem Willen abhängig. Und
da zeigt es sich denn ganz im Gegensatz zu der vorgefaßten
Schulmeinung, die alle Versuchspersonen für Schwindler
hält — sei es, daß sie für Geldeswert arbeiteten, sei es,
daß sie es nur täten, um „sich interessant zu machen" —
daß gerade die befähigtesten Versuchspersonen in der Rege]
gar kein Interesse für die ihnen abverlangten Versuche
haben, während andere, die brennend gern eine übernormale
Fähigkeit an sich entdecken möchten, und sich darum dem
Experimentator zur Verfügung stellen, nichts Wesentliches
leisten. So ist es mir wenigstens oft genug ergangen, und
ich habe dies auch von anderen Experimentatoren bestätigt
gefunden. Besonders bedauert habe ich, daß sich das Fräulein
v. G., die in meiner erwähnten Schrift die Hauptrolle
spielt, um "keinen Preis mehr bereit finden ließ, die Versuche
fortzusetzen. Die betreffende Person ist schwächlich
und leidend (aber ohne jede Erscheinung von Hysterie);
die Versuche, die sie mir zu Gefallen unternommen hatte,
strengten sie an, und ein persönliches Interesse an ihnen
hatte sie ganz und gar nicht. Ich möchte sogar behaupten,
daß sie bis heute nicht einmal die Bedeutung derselben verstanden
hat. Nur einen brauchbaren Versuch hat sie mir
seit der Drucklegung meiner Arbeit noch geliefert, den ich
an dieser Stelle später noch anführen will.
Die in meiner mehrfach erwähnten Schrift geschilderten
Versuche gipfelten in dem Erkennen von Gegenständen,
die ich, der auf einer Chaiselongue liegenden Versuchsperson
unsichtbar, in der Hand hielt, und auf die ich meine
Blicke und Gedanken konzentrierte. Bei der Uebertragung
auf die in Hypnose befindliche Versuchsperson wurde die
Berührung der Stirn zu Hilfe genommen. Diese Berührung
wird bei besser eingearbeiteten Versuchspersonen nicht
nötig sein, im vorliegenden Falle war sie es, und wurde von
Fräulein v. G. oft noch dadurch unterstützt, daß sie meine
Hand mit der ihren fest gegen die Stirn preßte. Der Skeptiker
um jeden Preis wird hier vielleicht auf die berühmten
unbewußten Muskelbewegungen zurückgreifen. Solche spielen
beim Führen einer Person nach einem gedachten Gegenstande
gewiß eine Rolle; man mache mir aber einmal klar,
auf welche Weise sie ein Gesichtsbild übertragen können.
Ebenso lächerlich ist der Einwand des Selbstverrates durch
unbewußtes Flüstern. Einmal, meine ich, kann sich der
Experimentator so weit in der Gewalt haben, daß er dies
unterläßt; vor allem aber sehe ich aber als beweisend an,
daß die Wiedergabe gar nicht mit einem bestimmten Worte
erfolgte, sondern beschreibend und gewissermaßen mit dem
geistigen Auge fühlend. So unterschied die Versuchsperson
an dem mit geöffneter Klinge hingehaltenen Messer zunächst
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