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Kindborg: Der Streit um die Telepathie. 601
Der Skeptiker um jeden Preis wird-bei diesem Versuche
einwenden, daß manches an den Einzelheiten nicht richtig
ist. Es sind vor allem keine Vögelchen auf dem Bilde, sondern
was über den Weg verstreut ist, sind Blüten. Auch hat
die Figur das Gesicht zwar nach links, aber nicht gerade
nach den Vögelchen hin gewendet. Wer aber ohne Voreingenommenheit
diesen Versuch beurteilt, dem wird auffallen
, daß der Eindruck einer auf dem Boden verstreuten
Vielheit von Körpern richtig aufgenommen worden ist.
Ebenso, daß der erste noch verschwommene Eindruck des
Bildes „Es steht etwas kerzengerade vor mir" den Gesamteindruck
in überraschender Weise wiedergibt. Auffallend
ist auch das richtige Erkennen der einzelnen weiblichen
Figur, obendrein in einer Umgebung, die, als aus Bäumen,
Sträuchern und Wiese zusammengesetzt, treffend wiedergegeben
ist. Hier von Zufall zu sprechen, hieße den Dingen
mehr Zwang antun, als unter Hinwegsetzung über kleine
Unstimmigkeiten sie zuzugeben. Gilt es hier doch nicht die
Genauigkeit einer Schülerzeichnung zu kritisieren,.sondern
zu entscheiden, ob hier ein nicht mit dem leiblichen Auge
aufgenommener Gesichtseindruck entstanden ist, den man
mit Recht auf das Original als Ausgangspunkt beziehen
darf. Ein solcher Eindruck gleicht aber ungefähr demjenigen
, der entstehen würde, wenn jemand bei ungenügender
Beleuchtung und ungenügender Beobachtungszeit ein
Bild festzuhalten und wiederzugeben versuchen würde. Man
mache einmal das Experiment, einer Versuchsperson bei
schwacher Beleuchtung eine Ansichtskarte mit Landschaftsbild
kurze Zeit vorzuhalten, und veranlasse dann die Wiedergabe
des aufgenommenen Gesichtseindrucks. Es werden
dann sicher ähnliche Resultate entstehen, in der Hauptsache
richtig, in Einzelheiten Fehler, Vielleicht erklärt sich auch
so der in vorstehendem Versuch eigentümlicherweise fehlende
Eindruck des Bunten.
In diesem Zusammenhange möchte ich zunächst darauf
eingehen, ob und wie man sich die telepathische
U ebertragung überhaupt erklären kann, Ich finde sie
auch in okkultistischen Schriften immer noch als eine Unbegreiflichkeit
hingestellt, die uns ein nicht zu lösendes
Rätsel aufgibt. Wo dies nicht der Fall ist, pflegt der Vergleich
mit der Marconi-Telegraphie herangezogen zu werden.
Ganz anders wird jedoch die Stellung zu dem Problem, wenn
man sich meiner Auffassung geistigen Lebens anschließt,
die ich in meiner mehrfach erwähnten Schrift entwickelt
habe. Danach ist das Denken nicht, wie gemeinhin angenommen
, ein willkürlicher, sondern ein unwillkürlicher Vorgang
, der auf dem Wege einer Art von Induktion eines
Nervenstromkreises durch einen anderen zustandekommt.
Diese Induktion geht unablässig vor sich, solange wir wach
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