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602 Psychische Studien. XLVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1921.)
sind, und findet selbst im Schlafe kein Ende. Durch diese
Induktionen werden immer wieder Vorstellungsbilder neu
angeregt, die ursprünglich aus Eindrücken unserer Sinnesorgane
entstanden sind. Die Gesamtheit dieser in uns ruhenden
Vorstellungsbilder ist das sogenannte Unterbewußtsein
. Dieses viel gebrauchte Wort ist damit aus der Wesen-
iosigkeit eines leeren Begriffes herausgehoben. *) Das bisher
noch nirgends definierte Oberbewußtsein können wir
uns aber nach meiner Auffassung nicht anders als ein in-
neres Sinnesorgan vorstellen. Dieses Organ hat die Aufgabe,
die Nervenströme im Unterbewußtsein zu fühlen und erst
dadurch uns zum Bewußtsein zu bringen. Ich glaube, daß
der oft genug mißbrauchte Ausdruck sechster Sinn für
dieses Organ richtig am Platze wäre und daß die angenommenen
Sinne für Hellfühlen, Hellsehen u. dgl. einstweilen
ruhig an die siebente und achte Stelle rücken könnten. Diese
Auffassung der Gedankenvorgänge wird gewiß manchen
befremden. Man wird vielleicht einwenden, daß das Denken
doch, wie das Zeitwort ausdrückt, etwas aktives sein müßte.
Man setze sich doch an seinen Schreibtisch und denke angestrengt
nach, z. B. wenn man für die Psychischen Studien
einen Artikel schreibt. Ich möchte darauf erwidern, daß
man zunächst umgekehrt nicht imstande ist, einen einmal
aufgetauchten Gedanken willkürlich zu unterlassen. Hierauf
beruht der bekannte Scherz, daß irgendeine „Zauberei"
nirht gelingen könne, wenn der Ausübende dabei an ein
Krokodil dächte. Und wenn man sich auch an den Schreibtisch
setzt und noch so angestrengt nachdenkt, so ist doch
damit keineswegs ausgemacht, daß einem auch etwas einfällt
. Ist man dagegen gut aufgelegt, so kommen die Gedanken
fertig wie Athene aus dem Haupte des Zeus — eine
Sage, in der vielleicht dieses selbständige Entstehen der Gedanken
schon richtig empfunden und verkörpert ist. So
werden denn auch die Fälle verständlich, wo Leute im
somnambulen Zustande Kunstleistungen ausgeführt oder im
Traume die Lösungen schwieriger Aufgaben gefunden
haben.
Andere werden vielleicht fragen, was praktisch mit meiner
Lehre von den Bewußtseinsvorgängen gewonnen ist. Mein
Kollege Tischner hat mir bei der Besprechung meines
Buches (Psych. Stud. 1921, Heft 3) vorgeworfen, daß ich
Lehren aufstelle, die nicht an den Kern der Erscheinungen
heranreichten. Nun, an den Kern der Dinge, an das letzte
Rätsel, auf welche Weise Stoff- und Kraftvorgänge zum Bewußtsein
werden, reicht keine irdische Lehre heran. Das
*) Als zwei gesonderte Schichten (was Dr. von "Wickede in Heft 9
d. J. der ,Psych Studien41 mit Kecht bekämpft) die eigenes Denken, Fühlen
und Wollen besitzen, fasse ich Ober- und Unterbewußtsein allerdings
nicht auf.
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