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606 Psychische Studien, XLVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1921.)
angestellt worden waren, und von der Mutter, die einen ungünstigen
Einfluß auf die Entwicklung ihres Töchterchens
fürchtete, nicht gern gesehen wurden. Sie fanden mit der
Uebersiedelung des Bruders an eine auswärtige Universität
ihr vorläufiges Ende.
Einen weiteren sehr interessanten Versuch hatte ich neulich
bei /einer vorübergehenden Anwesenheit in B. anzustellen
Gelegenheit. Die Mutter einer jungen Dame. Fräulein
L., Lehrerin, die mir zu einer Konsultation zugeführt
worden war, und die sich selbst als eine gegen suggestive
Beeinflussung refraktäre Persönlichkeit gezeigt hatte, entpuppte
sich als ein ungewöhnlich begabtes telepathisches
Medium. Der Hergang war der, daß die Tochter erzählt
halte, sie sei auch schon „magnetisch" behandelt worden,
habe aber dabei keine Empfindung gehabt, während dies
bei der mit anwesenden Mutter der Fall gewesen sei. Dai-
aufhin ließ ich letztere um die Gelegenheit bitten, die in
Betracht kommende Erscheinung nachprüfen zu dürfen.
Das Eigebnis war, wie ich gleich vorausschicken will, zweifelhaft
. Dagegen meinte der die Versuche beobachtende
Herr St., der mich mit den Damen bekannt gemacht hatte,
die Frau würde sich vielleicht zu telepathischen Versuchen
eignen. Nun hatte ich zwar an diesen im Augenblick kein
rechtes Interesse mehr, da die Tatsächlichkeit der Telepathie
für mich außer Frage stand; indessen ging ich doch
darauf ein, teils Herrn St. zu Gefallen, teils um die Anwesenheit
der Dame wenigstens in etwas auszunützen. Und
siehe da, die einleitenden Versuche, die ersten, die Frau L.
überhaupt machte, gelangen in überzeugender Weise. Danach
schlug Herr St. vor, daß wir beide an irgend etwas
denken und mit den Damen Kette bilden sollten. Ich ging
auch darauf ein und schlug, während wir uns beide aus
dem Zimmer entfernt hatten, einen Farbeneindruck,
und zwar blau vor. Ich ließ mich dabei von der Erinnerung
leiten, daß bei meinen früheren in der erwähnten Schrift
mitgeteilten Versuchen sich der Eindruck des Blau als der
am schwierigsten übertragbare erwiesen hatte. Die Kette, in
die als Kontrollperson die Tochter mit eintrat, wurde gebildet
, und wir beide Auftraggeber dachten scharf an blau.
Das junge Mädchen empfand, wie erwartet worden war,
gar nichts; dagegen sagte die Mutter, der nur mitgeteilt
war, daß es sich um einen Farbeneindruck handelte, nach
einer Weile „blau" und fügte hinzu: „Ich sah eine große
Kornblume, dann ein ganzes Feld von solchen yor meinen
Augen." Mit diesem einen Versuche, der leider aus äußeren
Gründen nicht wiederholt werden konnte, will ich natürlich
nicht die Telepathie beweisen; sondern ich will ihn den
früher von mir mitgeteilten an die Seite stellen, wo auch
ein deutlicher Farbeneindruck, bei blau in Gestalt von
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