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Kindborg: Der Streit um die Telepathie
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Ja, wissen wir denn, mag es sich nun um eine Strahlung,
eine Emanation oder sonst etwas handeln, ob dieses Etwas,
das vielleicht durch Papier hindurch geht, auch die Substanz
irgendwelcher Kassetten zu durchdringen vermag ? Mit demselben
Rechte könnte jemand von den Röntgenstrahlen verlangen
, sie müßten, um ihre Reellität zu erweisen, Metall
durchdringen können, da Leder oder Holz vielleicht doch
feinste Lücken und Spalten habe.
Schließlich verstehe ich nicht, warum Moll in seinem Berliner
Vortrage über alle Forscher, die auf dem sogenannten
okkulten Gebiete arbeiten, gleichzeitig den Stab bricht. Handelt
es sich doch um ganz verschiedene Dinge, die als von
der heutigen Wissenschaft noch nicht anerkannt in einen
großen Topf mit der Aufschrift „Okkultismus" geworfen
werden. Ich kann mir sehr wohl denken, daß aus diesem
Topfe das eine oder andere als brauchbar herausgefischt
werden könnte, während anderes im Laufe der Zeit der
endgültigen Verwerfung anheimfiele. Daß unter dem letzteren
nicht die Telepathie sein kann, davon bin ich allerdings
jetzt schon durchaus überzeugt. Es wäre aber sehr
wünschenswert, wenn die Anerkennung und Erforschung
der Telepathie nicht mehr allzulange auf sich warten ließe,
weil die telepathische Gedankenübertragung
als Fehlerquelle auf allen anderen Gebieten des Okkultismus
in Betracht kommt. So vor allem beim eigentlichen
Hellsehen, worunter die Erkennung zeitlich und räumlich
unseren Sinnesorganen entlegener Dinge zu verstehen wäre.
Fernei bei manchen Produktionen der Medien, denn diese
verkünden oftmals Dinge als Eingebungen einer jenseitigen
Intelligenz, die ganz gut aus dem Bewußtseinsinhalte eines
der Anwesenden, ja sogar eines Nichtanwesenden entnommen
sein können. Räumliche Entfernung spielt, wie die Versuche
von Freudenberg und Hof mann gezeigt haben, keine
Rolle, und der Einwand, es habe im Augenblicke niemand
an den oder jenen Vorstellungsinhalt gedacht, ist, wie ich
vorhin gezeigt habe, nicht stichhaltig. Als Beispiel für das
eben Gesagte will ich noch angeben, daß unlängst in einer
mir freundlichst gewährten Privatsitzung ein Berliner Medium
, ohne mich näher zu kennen, einen Gedanken von mir
genau mit den Worten wiedergab, in den ich ihn daheim im
Gespräche öfters zu kleiden pflegte.
Ich möchte aber diesen Aufsatz nicht beschließen, ohne
grundsätzlich gegen die Aburteilung wissenschaftlicher
Fragen durch Kommissionsbeschlüsse Stellung zu nehmen.
Wem das Wort „vestigia terrent" geläufig ist, der wird zugeben
, daß es solcher Spuren, die abschreckend zu wirken
geeignet sind, in der Geschichte der Wissenschaft aller
Zeiten und Völker gerade genug gibt. Ich erinnere nur an
die berühmte Kommission, die die Schnelligkeit der ersten
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