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62S Psychische Studier, XLVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1921.)
Erfahrungstatsache. Kommt man als Untersucher solchen
Personen ohne jede Voreingenommenheit entgegen, und mit
Toleranz gegen den Glauben, den sie bezüglich der Ursache
der bei ihnen auftretenden Phänomene hegen — den
man ja selbst absolut nicht zu teilen braucht — so wird man
bei aller kritischer Schärfe der eigenen Beobachtung immer
mehr erleben, mehr sehen als andere Beobachter, die durch
ihr bekanntes Mißtrauen oder eine zwecklose Ueberexakt-
heit beim Experiment, wobei oft das Eintreten der Phänomene
direkt hindernde Bedingungen gestellt werden, eleu
Prüfling schließlich in einen derartigen seelischen Zustand
versetzen, daß vielleicht überhaupt keine Erscheinungen auftreten
. Daß derartige Experimente zu gänzlich falschen
Schlüssen führen müssen, dürfte dem Einsichtigen wohl
klar sein.
Während nun toleranten, unvoreingenommenen Forschern
auf parapsychischem Gebiete meist Material zu Untersuchungszwecken
in ausreichender Menge zuströmt, — gutes
neben vielem untauglichen — oder sie auf derartiges Material
von außen aufmerksam gemacht werden, so daß sie
stets in der Lage sind, sich aus zahlreichen Fällen schließlich
ein gefertigtes Urteil, sei es für oder gegen zu bilden,
erlebt der mißtrauische, überkritische Forscher fast immer
das Gegenteil. Die in Frage kommenden Personen meiden
ihn von Haus aus oder lassen sich überhaupt nicht von ihm
untersuchen. Derartige Forscher verstopfen sich also selbst
die Quellen, aus denen sie Erfahrung schöpfen könnten;
nebenbei vertraut solchen Herren auch fast niemand die
eigenen paiapsychischen Ereignisse privater Natur an, die
durchaus nicht so selten sind, und damit ist wieder eine
andere Erkenntnisquelle verstopft. Das Endresultat ist dann
ein schiefes, ungerechtfertigtes Urteil, denn gerade in der
Parapsychologie muß man sehr viel Versuchspersonen tauglicher
und untauglicher Art gesehen haben, ehe man sich ein
Urteil zu fällen getrauen darf. Und dann gilt noch das
„nonum prematur in annutn" des Horaz.
Um ein gutes Medium zu finden, gehört ja gewiß Glück
dazu. Wenn man aber die Arbeiten dQr von mir beregten
Forscher durchliest, so muß man sagen, daß die Herren ein
ganz besonderes, wahrscheinlich seine Ursachen habendes
Pech gehabt haben müssen, denn keiner von ihnen hat noch
mit einem guten Medium operiert. Der Weg der Aufforderung
durch die Zeitung an Medien, sich prüfen zu lassen,
erscheint mir psychologisch nicht richtig und dürfte auch
zu keinem besonderen Resultate führen. Echte Medien sind
überhaupt unter den modernen Deutschen, bei denen die
Vernunft- die Phantasietätigkeit überwiegt, sehr selten. Ein
echter psychischer Forscher muß eben dem Jäger gleichen,
der das Wild im freien, in seiner gewohnten Umgebung
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