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638 Psychische Studien. XLVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1921.)
Haltung nicht versagen können. Aber er wollte trotz seiner niederen
Einschätzung der Intellektuaiität der Versammlung in dieser Einfluß gewinnen
und offens:chtlich eine Rolle spielen. Deshalb ergriff er 3 Tage
lang in endloser Folge mmer wieder das Wort zur Sache und zur
Oeschättbordnung und machte sich durch zahllose Zwischenrufe bemerkbar
. Kaum eine Viertelstunde nach Beendigung seiner ungünstig
aufgenommenen scharfen Kritik stand er schon wieder auf dem Podium
und schlug nun ganz neue, positive Töne an. Er wandte sich in leidenschaftlicher
Weise gegen die Juden, von denen übrigens kaum / einer
zugegen war, und forderte einen Absatz in das Programm des zu gründenden
Bundes, durch den die Juden ausgeschlossen werden sollen.
Er schloß mit hohem Pathos: „Ich kenne in meinem Bestreben nur ein
Ziel, zu kämpfen für den Glauben an die Unsterblichkeit, für öott und
unsern Heiland!" Ein Sturm der Begeisterung erscholl, und er, der eine
halbe Stunde zuvor einmütig abgelehnt worden war, hatte einen glänzenden
Abgang. Abends war eine Experimentalsitzung, bei der etwa
400 Personen zugegen waren, im Programm war eine Menge interessanter
Sachen versprochen, aber das Ergebnis wrar eiue allgemeine große
Enttäuschung, die se'bst der Einberufer des Kongresses nicht bestreiten
kennte. Die nächste Vormitiagssitzung stand ganz unter dem ungünstigen
Eindruck der verunglückten Experimentalsitzung vom Abend zuvor.
Erst als dei völlig hilflos gew ordene Vorsitzende erregt und zermürbt sein
Amt an die Versammlung zurückgegeben hatte und durch den energischen
und zielklaren Dhe^tor Wagier von der Bilz'scien Anstalt in Dresden
ersetzt worden war, kam ein besserer Fluß und mehr Ruhe in die
Verhand ung, und man konnte schließlich dem Ziel näher kommen,
einen „Deutschen Zentralverband für Geistwissenschaften" zu gründen.
Der „Feind** — Dinter — schien geschlagen und Richter als Ein beruf er
und künftiges geistiges Haupt der „Geistforschung" schien gewonnen
zu haben. Die Sicherheit im Richter'schen Kreise war *>o groß, daß bei
einer Privatsitzung, die das Sprechmedium Frau Schwaibach aus Mannheim
im Laufe des Nacnmittags in Gegenwart Richters gab, bereits der
„Geist" Justinus Kerners als Gratulant erscheinen und Richter zu
seinem Sieg beglückwünschen konnte. Dieser dankte gerührt und fügte
hinzu, daß er während der ganien Verhandlung deshalb habe so ruhig
bleiben können, weil er seinen Sieg im Geiste vorausgesehen habe.
Die Klugheit gebiete ihm jedoch, Dinter in die Vorstandschaft aufzunehmen
wregen seines angesehenen und wohlhabenden Anhangs. Die
Experimentalsitzung am kommenden Abend werde sein Werk vollends
krönen.
Die Fxperhnentalsitzung kam, aber sie brachte lediglich wieder einmal
die Bestätigung der alten Wahrheit, daß es im Leben meist anders zu
kommen pflegt,* als der Mensch denkt und als selbst die sprechenden
Geister verkünden. Weil am Abend zuvor die Telepathie- und Hellseh
-Experimente verunglückt waren, wurden diese von Möcke noch
einmal wiederholt. Scheinbar ging es diesmal glatter, aber ein großer
Teil des Publikums blieb doch innerlich unsicher, weil die Versuche
mehr in der Form einer blendenden Schaustellung und nicht unter Voraussetzungen
erfolgten, die die Gewähr für ein wissenschaftlich gesichertes
Ergebnis boten. Die Beschreibung der „gesehenen" Dinge war
meistens sehr vag und vieldeutig uud die auf ersichtlicher Kombination
beruhenden Aussagen waren sehr hiufig, doch alles da5 ging noch an.
Schlimmer wurde es aber, als die vom ganzen Kongreß mit Spannung
erwarteten „Levitationsverfahren nach Berka: Schwebeexperimente, die
die willkürliche Herabsetzung der Anziehungskraft der Erde auf den
menschlichen Organismus" demonstrieren sollten, an die Reihe kamen.
Zu diesem Zweck ließ Richter-Berica zwei Tische mit Stühlen in die
Mitte des Zuschauerkreises stellen und forderte die Anwesenden auf,
Platz zu nehmen. Im Nu waren die Stühle besetzt. Aber die Enttäuschung
uud Ernüchterung war keine kleine: Richter forderte die Teilnehmer
an dem Experiment auf, ihrem Arm auf de i Tisch zu legen und unter
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