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Iiiig: Deutscher Okkultisten-Kongreß in Cassel. 639
Ausschaltung* aller andern Gedanken ernstlich zu wollen, daß sich irgendein
Finger oder die ganze Hand in die Höhe hebe, worauf der oder
jener bald spüren werde, daß der Finger oder Arm Neigung zum Steigen
zeige. Wenn man dieser Neigung keinen Widerstand entgegensetze, hebe
sich der Arm, und das sei dann die Levitation und Aufhebung der
Schwerkraft der Erde. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es in diesem
Augenblick zu einem Tumult gekommen. Aber man wollte die noch
angekündigte Tiancesitzungen nicht stören und nicht den Stoff zu neuen
Ausreden liefern, wenn voraussichtlich auch diese mißlangen. Deshalb
hielt man an sich und wartete die Traucesitzungen ab. Und es kam, wie
es nach dem Vorausgegangenen nicht anders zu erwarten war. Die
„Geister** führten einen lebhaften Disput miteinander, gaben sogar
einzelne französische Brocken von sich und versuchten sich im „Apport".
Einer Dame im Zuschauerraum fiel zweimal eine Brosche zu Boden,
was als Versuch der Geister zum Apportieren der Brosche gedeutet
wurde. Man holte die Frau heraus und steckte ihr die Brosche wieder
an, doch ohne daß man sie schloß, weil man den Geistern nicht zum
zweitenmal de Mühe des O^ffncns machen dürfe. Doch gab man ihnen
auf, die Brosche in der Saalmitte niederzulegen. Wie sehr sich indessen
auch die Medien anstiengten, die Brosche kam nicht. Da steckte sie sich
Bericas Schüler, Möcke lose an den Rock, weil er überzeugt war, stärkere
mediale Kräfte entwickeln zu können. Aber auch ihm taten die Geister
nicht den Gefäßen, die Brosche in die Saalm'tte zu briigen. Erst als er
sich konvulsivisch zu schüttein begann, bekam die Brosche Leben und
fiel zu Boden, Herrn Möcke gerade vor die Füße, wohin sie unter
gleichen Umständen auch ohne Geister gefallen wäie. Vergeblich strengte
sich zum Schluß der Geist justinus Kerners an, dem Kongreß zu dem
großen Werk, das Richter als den Beginn einer geistigen Weltemvetide
bezeichnet hatte, zu beglückwünschen. Vergeblich stammelte auch Tolstoi
seinen Gruß: Die Stimmung war verdorben, die Hoffnungen waren enttäuscht
, die Gemüter katzenjämmerig geworden.
Der kommende Vormittag biachte die Kritik, Dintcr sah, diß jetzt
die schwache Stunde Richters gekommen war, der sich Tags zuvor
schon seines Sieges gefreut hatte. Er schenkte seinem Opfer nichts,
aber auch rein gar nichts. Er stellte ihm alle möglichen Zeugnisse
aus, nur keine schmeichelhaften. Ausdrücke wie Wirrkopf, Scharhtm
und dergleichen flogen ununterbrochen zum Vorstandstisch. Aber der
Bann brach erst, als Sanitätsrat Dr. Fulda aus Frankfurt a. M. mit
hinreißender, wuchtiger Beredtsamkeit an den Expcrimentalsitzungen
die schärfste Kritik geübt und erklärt hatte, daß er nich dem, was er
hier erlebt habe, selbstverständlich kein weiteres Interesse an der
Bundesgründung habe und ihm auch nicht beitreten werde. Durch
derartige Veranstaltungen vor einem großen Publikum, vor den Spitzen •
der Behörden und der Presse werde dem Okkultismus mehr geschadet
ate genützt, weil dadurch auch das, was an ihm berechtigt sei, dem
öffentlichen Mißkredit \erfaLe. Brausender Beifal1 fo'gte diesen Woiten
und legte sich dem Veranstalter des Kongresses und präsumtiven
geistigen Haupt des Bundes so schwer aufs Gemüt, daß er nach
kurzer Zuspiache seiner nächsten Freunde sich erhob und d.e Erklärung
abgab, daß, wenn seine Person das Hindernis für eine gedeihliche
Entwicklung des neuen Bundes sei, er gern das Opfer des Verzichts
bringe. Er könne diese Erklärung um so ruhiger und gefaßter abgeben
, als er diesen für seine Person ungünstigen Ausgang des Kongresses
-längst im Geist vorausgewußt habe. Einige, die am Tag
zuvor bei der privaten Zwiesprache Richters mit „Justinus Kerner"
zugegen gewesen waren und da aus Richters Mund das glatte Gegenteil
gehört hatten, sahen einander erstaunt an und flüsterten sich zu:
Das war aber ein starkes Stück! Doch der gewandte Vorsitzende griff
Richters Erklärung erleichtert auf und drehte dem Kongreß, gestützt auf
Richters Selbstaufopferung, ein friedliches Ende. Nachmittags traten
die Vertreter der Logen und Verbände zusammen, und auch Dinter,
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