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heidnische Tempel in christliche Gotteshäuser umzuschaffen,
so adoptierte sie auch heidnische Vorstellungen, indem sie diese
in christliche umformte. So wurde aus der heidnischen Urania
die christliche Kegina, die Gottesgebärerin, die Mutter des Erlösers
, welche letztere Bedeutung sie ja zuvor, nicht nur in
der Gnosis, sondern auch im Isiskult und den sonstigen orientalischen
Religionen bereits gehabt hatte. Besonders in Unteritalien
können wir auf das Bestimmteste verfolgen, wie heidnischer
in christlichen Kult nach Ort und Vorstellung unmittelbar
ineinander überging. Daher braucht es auch durchaus
keine Fabel zu sein, wenn berichtet wird, daß sich dunkelfarbige
Isisstatuen in christliche Tempel verirrt haben und als
Madonnen dortselbst verehrt worden seien.
Gewiß kann eine dunkelfarbige Ephesierin auf diese Weise
zur Verehrung als „schwarze Madonna4* gelangt sein, gewiß
kann ein ursprünglich weiße Gesichtsfarbe aufweisendes Muttergottesbildnis
im Laufe der Zeit durch Kerzen- und Weihrauchsrauch
geschwärzt worden sein, aber trotzdem ist mit diesen
Zugeständnissen die Frage nicht erschöpft, die Entstehung der
schwarzen Madonnen ganz allgemein noch nicht erklärt. Denn
— und wir kommen jetzt auf ein bisher noch nicht beachtetes
Moment zu sprechen — wir müssen zwischen Madonnenstatuen
und Madonnenbildern unterscheiden. Beide verhalten sich bezüglich
des dunkelfarbigen Antlitzes bzw. der Entstehung desselben
durchaus verschieden. Kann bei der Statue angenommen
werden, daß sie aus einem schwärzlichen Gestein oder dunkelfarbigem
Holz bestanden habe oder daß sie durch Verrußimg
sich schwärzlich gefärbt habe, so trifft für das Bild das erstere
gar nicht, das letztere nur in beschränktem Maße zu. Nun ist
uns aber sogar der Entstehungstermin von Gemälden schwarzer
Madonnen bekannt, und hier, da es sich nicht um Kopien von
Statuen handelt, sondern um freies künstlerisches Schaffen,
liegt Willkür und Übertragung vor. Hier ist es ganz unzweifelhaft
, daß der Künstler, indem er der Gottesmutter und dem
göttlichen Kinde ein dunkles Anlitz und dunkelfarbige Hände
gab, damit eine bestimmte Idee hat ausdrücken wollen, und
deren Deutung haben Jennings und Hentges zu geben versucht.
Hier liegt der Kernpunkt der Frage. Anzunehmen, daß Künstler
wie Raphael z. B. deshalb Gemälde mit schwarzen Madonnen
geschaffen hätten, weil sich in der oder jener Kirche ein angerußtes
oder mit Schmutz inkrustiertes Marienfigürchen befand,
ist einfach absurd. Und dann, man denke sich die bekannt
gewordenen schwarzen Madonnenfiguren als Muster für solche
Meistermaler! Was ich wenigstens bisher von solchen Bildnissen
gesehen habe, sind Puppen von nicht zu überbietender
Puppenhaftigkeit, Puppen mit wreiten, steif abstehenden Röcken,
in seidenem Staatskieid, mit Gold und Juwelen geschmückt.
Wer solcher „ Heiligen"-Figur gegenüber nur ein Fünkchen
ästhetischen Sinnes besitzt, der bedauert es im Stillen, daß
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