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650 Psychische Studieti. XLVIII. Jahrg. 12. Heft (Dezember 1921.)
noch beleuchten und stützen, zweitens auch selbständig ein
sehr merkwürdiges Spiel der Komplexe aufweisen, wie es
mit ähnlicher Deutlichkeit nur selten zu beobachten ist.
Was Leas Komplexe anbelangt, muß ich jetzt hier das
Wichtigste zusammenstellen. Man erinnert sich, daß Lea
aus einer unbemittelten jüdischen Familie in Prag stammt
und in der ersten Hälfte der Zwanzig steht. Die Erziehung,
die sie zu Hause erfuhr, war mangelhaft und lieblos; sie
brachte in Lea eine starke Trotzeinstellung hervor. Im Jahre
1910 suchte Lea an der Hand eines Mannes namens Fritz,
dem sie sich hingab, das Weite. Ein Aufenthalt mit Fritz
in Ostende zeigte bald, daß sie sich in diesem Menschen
arg getäuscht hatte. Nach Prag zurückgekehrt, machte sie
sich von ihm los und fuhr nach Wien, um sich hier ganz
auf die eigenen Füße zu stellen und sich einem künstlerischen
Studium zu widmen. Ein neues Liebesverhältnis —
mit einem Manne namens Hans - droht der kaum errungenen
gänzlichen Freiheit Fesseln anzulegen, weshalb sich
Lea anfänglich gegen die aufkeimende Liebe sträubte, allerdings
, um derselben später ganz nachzugeben. Zum Schluß
trachtet Lea alle ihre Enttäuschungen wie auch ihr früheres
trotziges Wesen zu vergessen und ein neues, glücklicheres
Leben zu beginnen, wobei sie unterstützende Hilfe von Hans
erhofft. Die hauptsächlichen Komplexe und Potenzen in
Leas Psyche sind demnach: Der Hauskomplex (hervorgerufen
durch die Divergenzen und Konflikte mit ihrem
Elten? hause); der Fritz-Komplex (betreffend die Enttäuschungen
); der Todeskomplex (eine durch die Gesamtheit
der Konflikte hervorgerufene Todessehnsucht); der Freiheitskomplex
(Drang nach Freiheit); die Liebeswehr (Sträuben
gegen die Liebe zu Hans); der Berufskomplex (ängstliches
Bemühen, sich durchzusetzen); ferner ein Lügen- oder
Enttäuschungskomplex (ein Verzweifeln an, der Welt, weil
alles Lug und Trug ist); eine Lust zum „Probieren" (Ausprobieren
aller Möglichkeiten des Lebens, insbesondere der
sexuellen); die Spaltung von Leas Persönlichkeit, in eine
rücksichtslose, zynische wilde und eine gütige, gefühlvolle
milde Person; endlich der Entschluß, die wilde Person zu
vernichten, um in der milden das Glück zu erlangen. In
den Visionen findet, beiläufig bemerkt, dieser Entschluß
seinen Ausdruck darin, daß die Hauptfigur, der „alte Jude",
stirbt. Lea legt sozusagen den alten Juden ab, was ungefähr
soviel heißt wie die bekannte Phrase „den alten Adam ausziehen
". Das dafür beginnende neue, bessere Leben
wird in den Visionen durch engelgleiche Kindergestalten
angedeutet. Nahezu jede in den Gesichten vorkommende
Figur und jede Szene läßt sich aus diesen Komplexen und
Potenzen deutlich herleiten. Die Quellen (das Erinnerungsmaterial
, woraus die Bilder geformt werden) sind dabei
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