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*>72 Psychische Studien. XLVHi. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1921.)
werde von einer Sehlange gestochen; es entstand in den
nächsten lagen eine Pestbeule an seiner linken Brust, und
am fünften läge nach dem Traume starb er."
Bei diesen und zahlreichen ähnlichen Fällen sieht der
michtern urteilende Psychologe und Physiologe in dem
Traume nur eine Folge der beginnenden organischen Zu
-Tandsänderung, der Mystiker nimmt dagegen ohne weiteres
<üs erwiesen an, daß umgekehrt die Zustandsänderung eine
Folge des Traume* ist, was natürlich auf eine Vorahnung
der Zukunft, also einen Wahrtraum hinauslaufen würde,
feder übersinnliche Charakter verschwindet aus derartigen
beschichten, wenn man sich gegenwärtig hält, daß das
Unterbewußtsein irgendeine Sinn es Wahrnehmung früher als
das Oberbewußtsein aufzufassen vermag, was durch zahlreiche
Alltagserlebnisse bewiesen wird."
Wie sehr Hennig recht hat, beweist u. a. ein Traum aus
meiner eigenen Erfahrung. In der Nacht vom 11. zum
12, September 1921 wurde ich durch heftige Schmerzen
im Unterleib geweckt, die sich an der höchst verdächtigen
rechten unteren Seite bemerkbar machten. Als ich dann
einiges zu ihrer Linderung getan hatte und wieder eingeschlafen
war, erschien mir im Traume zu meiner linken Seite
ein in seinen langen weißen Waschkittel gekleideter Arzt.
Seine Gestalt sowie sein Gesicht waren im übrigen gänzlich
undeutlich. Mit freundlicher Stimme und, wie es schien,
auch mit freundlichem Kopfnicken sagte er ganz deutlich
/n mir: „Nun, ich werde Ihnen den Bauch schon pünkteln."
Ich verstand sofort, daß er mit diesem letzteren Worte
euphemistisch eine Operation bezeichnen wollte. Sofort er
-chien rechts neben ihm, also gerade vor meinem Blick eine
;^roße weißlich-grünliche Figur, die zahlreiche Windungen
^owie rechts unten eine rot gepünktelte Linie zeigte. Die
Figur war weiter nichts als eine ins Groteske verzerrte
Wiedergabe des Bauchinneren, wie man es oft in naturkundlichen
Bürhern abgebildet* sieht. Die rote Punktlinie
bezeichnete die Stelle der Blinddarmoperation. Ich nahm
die Mitteilung des Arztes nicht gerade erfreut entgegen und
empfand einen ganz leisen Wunsch^ der Eingriff möchte
nicht nötig werden. Damit schwand der Traum. Am Morgen
waren die Schmerzen noch da und hielten den ganzen
folgenden lag mit wechselnder Stärke an. Erst in der
nächsten Nacht verloren sie sich und blieben seitdem gänzlich
weg. Die gefürchtete Operation wurde nicht nötig. Die
Schmerzen waren lediglich durch sog. versetzte Darm gase
hervorgerufen worden.
Was war hier also vorgegangen? Der Schmerz war bei
dem nächtlichen Erwachen zum Bewußtsein gekommen und
hatte dabei die Befürchtung einer Operation ausgelöst. In
- iner Zeitspanne der Linderung erfolgte das Wiedereinschla-
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